Angststörung: Leben mit der Angst?
Angst ist eine natürliche Reaktion des Körpers und der Psyche auf Gefahrensituationen. Doch was ist eine Angststörung, wie wird sie erkannt und behandelt?
Im Überblick:
- Was ist ein Angststörung?
- Ursachen
- Symptome und Formen
- Diagnose
- Therapie
- Umgang mit der Angst
- Angststörungen vorbeugen
Was versteht man unter einer Angststörung?
Eine bereits lange bestehende Angststörung führt dazu, dass Betroffene sich zurückziehen und Situationen meiden, die ihnen Angst machen. Der Rückzug aus dem sozialen und öffentlichen Leben führt nicht selten zu Isolation, die zu einer Depression führen kann, weshalb eine Angststörung unbedingt behandelt werden sollte. Bei der generalisierten Angststörung besteht die Angst unspezifisch vor allen möglichen Situationen, die auftreten könnten. Dabei treten tatsächlich körperliche und psychische Angstsymptome, wie Herzrasen oder Schweißausbrüche, auf.
Bis zu 20 Prozent der Menschen leiden unter einer Angststörung. Damit ist sie bei Frauen noch vor Depressionen die häufigste psychische Erkrankung. Bei Männern kommt sie an zweiter Stelle nach der Alkoholerkrankung. Am weitesten verbreitet sind folgende Angststörungen:
- generalisierte Angststörung/generalisierte Angsterkrankung (GAE)
- Panikattacken
- soziale Phobie (Angst vor Menschen)
- spezifische Phobie (Angst vor Spinnen, engen Räumen, Flugangst und ähnliche Ängste)
Welche Ursachen stecken hinter einer Angststörung?
Die Ursachen sind weitgehend noch ungeklärt. Klar ist aber, dass es einerseits körperliche und anderseits psychische Ursachen für Angststörungen gibt. Außerdem können bestimmte Medikamente, wie sie etwa bei der Parkinson-Erkrankung oft gegeben werden, sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch zu Wahnvorstellungen und Angststörungen führen, da diese Substanzen Einfluss auf den Hirnstoffwechsel nehmen.
Zu den körperlichen Ursachen zählen:
- Lebensbedrohliche Diagnosen und Erkrankungen: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Asthma können eine starke Angst auslösen, die in einer Angststörungen mündet.
- Neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson
- Schilddrüsenerkrankungen mit sehr starker Überfunktion (Hyperthyreose)
- Psychische Ursachen
Heute weiß man, dass die Angststörungen wie viele psychische Erkrankungen ein ähnliches Erklärungsmodell haben: Es kommen biologische, biografische und psychosoziale Faktoren zu verschiedenen Zeitpunkten des Lebens unterschiedlich stark zum Tragen. Erst in ihrem Zusammenspiel wird die Psyche anfällig für Belastungen und Angststörungen können entstehen.
Eine generalisierte Angsterkrankung kann nicht auf eine einzelne, eindeutige Ursache zurückgeführt werden. Es wirken verschiedene Faktoren zusammen. Dennoch ist über die Entstehungsgeschichte der Erkrankung wenig bekannt, da sie weder an regelhafte Auslöser (wie bei den spezifischen Phobien) gebunden, noch durch dominierende überfallartige Panikattacken (wie bei der Panikstörung) charakterisiert ist. Folgende Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen:
- Erbliche/genetische Faktoren: Angststörungen treten familiär gehäuft auf; vermutet wird das Zusammenspiel bestimmter Gene
- Neurobiologische Faktoren: bei Angststörungen sind im Gehirn die Botenstoffe (Neurotransmitter) Serotonin, Noradrenalin oder Gamma-Aminobuttersäure (GABA) nicht im Gleichgewicht; außerdem sind Hirnareale, die für die Gefühle zuständig sind, bei Betroffenen verändert
- Traumatische Erlebnisse in der Kindheit (physische oder psychische Gewalt, sexueller Missbrauch) oder später, aber auch langanhaltende und stressreiche Belastungen und belastende Lebenssituationen
Symptome und Formen einer Angststörung
Die Symptome der unterschiedlichen Angststörungen sind sehr ähnlich. Das Symptom Angst ist dabei erstmal nicht krankhaft, denn Angst gehört zur Gefühlswelt jedes Menschen. Erst wenn sie ein gewisses Maß übersteigt und den betroffenen Menschen einschränkt, weil die Gedanken immerzu um die Ängste kreisen, handelt es sich um eine Angststörung.
Was gibt es für Angststörungen?
- Panikstörung: Plötzlich auftretende Angstanfälle (Panikattacken) mit Herzrasen, Schweißausbruch, Atemnot, Engegefühl, ... gekennzeichnet von Todesangst und dem Gefühl des Kontrollverlusts; treten plötzlich auf und nehmen etwa zehn Minuten an Stärke zu; oft verbunden mit Agoraphobie
- Agoraphobie: (Angst vor Menschenmengen und engen Räumen) mit/ohne Panikstörung: Bei Agoraphobie mit Panikstörung besteht die Angst vor Räumen, in denen die Flucht im Fall einer Panikattacke erschwert wäre; Angstanfälle sind am häufigsten vor Menschenmengen, engen Räumen wie Aufzügen oder öffentlichen Verkehrsmitteln; Angst wird weniger, wenn eine vertraute Person dabei ist
- Generalisierte Angststörung/generalisierte Angsterkrankung (GAE): körperliche Symptome der Angst: Zittern, Herzrasen, Schwindel, Muskelverkrampfung kombiniert mit Nervosität, Konzentrationsproblemen und anderen psychischen Symptomen; Auftreten als unterschwelliger Dauerzustand, nicht als Anfall
- Soziale Phobie: Angst vor Kontakt mit Menschen, wie bei Amtsgängen, beim Reden vor anderen Menschen, bei einem Gespräch mit dem Chef, ...; Angst sich dabei zu blamieren oder von anderen negativ bewertet zu werden
- Spezifische Phobie: Angst vor konkreten Dingen oder Situationen wie Höhenangst, Flugangst, Spinnenangst – beziehen sich meist auf ursprüngliche Ängste aus der Natur
- Mischform Angst und depressive Störung: Kombination von Angst und Depression, wobei beides nur in der schwachen Form bestehen darf; ansonsten handelt es sich um beide Diagnosen (Angststörung und Depression)
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Wie wird eine Angststörung diagnostiziert?
Vermutlich jeder zehnte Patient in einer allgemeinärztlichen Praxis leidet an einer generalisierten Angsterkrankung. Der typische Angstpatient kommt in der Regel zunächst wegen anderen Beschwerden, beispielsweise Schlafstörungen, wodurch die Angststörung oft nicht direkt erkannt wird.
Betroffene, die typische, ausgeprägte Symptome an sich feststellen oder sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt fühlen, sollten sich nicht scheuen, sich dem Hausarzt anzuvertrauen. Dieser kann bei Bedarf eine Überweisung zu einem Facharzt ausstellen.
Im persönlichen Gespräch wird die Krankheitsgeschichte erfragt und Fragen zur persönlichen Situation gestellt. Standardisierte Fragebögen helfen dabei, die Schwere der Angststörung einzuschätzen. Daran schließen sich eine körperliche Untersuchung mit der Bestimmung von Blutwerten, ein EKG und eine Schilddrüsendiagnostik an. Gegebenenfalls müssen körperliche Ursachen für die Symptome, wie eine koronare Herzerkrankung oder Asthma bronchiale, ausgeschlossen werden. Die Beurteilung der diagnostizierten Angststörung erfolgt anhand der ICD-10- und DSM IV-Diagnosekriterien.
Therapie einer Angststörung
Der betroffene Mensch soll über die verschiedenen Möglichkeiten zur Behandlung seiner Angststörung aufgeklärt werden und gemeinsam mit dem Arzt entscheiden, was für ihn in Frage kommt. Generell stehen die Pharmokotherapie mit Medikamenten und die Psychotherapie zur Verfügung. Die jeweilige Art der Behandlung sowie die infrage kommenden Medikamente unterscheiden sich je nach Angststörung.
Für alle Angststörungen gilt jedoch, dass in Bezug auf die Psychotherapie die erste Wahl die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist. Sollte sich diese als nicht wirksam zeigen, kann eine psychodynamische Psychotherapie erfolgen. Ausnahme sind hierbei die spezifischen Phobien, denn bei ihnen ist eine KVT mit Expostionstherapie sinnvoll, um die spezifische, irrationale Angst zu überwinden.
Als Medikamente werden auch bei den Angststörungen Antidepressiva eingesetzt. Häufig verwendete Wirkstoffgruppen sind SSRI (Escitalopram, Paroxetrin, Sertralin), SNRI (Venlafaxin) und trizyklische Antidepressiva (Clomipramin, Opipramol). Auch hier bilden die spezifischen Phobien eine Ausnahme, da bei ihnen keine medikamentöse Behandlung in den Leitlinien vorgesehen ist.
Als weitere Maßnahme wird bei Angststörungen das Besuchen einer Selbsthilfegruppe und für die Familienmitglieder einer Angehörigengruppe empfohlen. Bei einer Panikstörung und Agoraphobie zusätzlich dreimal pro Woche ein Ausdauertraining.
Regeln zum Umgang mit der Angst
Es gibt Merksätze, die sich im Umgang mit Angstsituationen bewährt haben. Sie lassen sich unabhängig von Behandlungsverfahren jederzeit anwenden.
In allen Bereichen unseres Lebens heißt der erfolgreichste Weg zum Erlernen von Neuem: Wir müssen uns der Situation aussetzen. Das gilt auch für die Bewältigung der Angst. Diese Regeln sollen daran erinnern, dass Menschen mit einer Angststörung wiederholt die Erfahrung machen müssen, dass die Angst nicht zur Katastrophe wird.
- Angstgefühle und dabei auftretende körperliche Symptome sind verstärkte normale Stressreaktionen.
- Angstreaktionen sind nicht schädlich für die Gesundheit.
- Verstärken Sie Angstreaktionen nicht durch Furcht erregende Fantasievorstellungen.
- Bleiben Sie in der Realität, beobachten und beschreiben Sie innerlich, was um Sie herum wirklich geschieht.
- Bleiben Sie in der Situation, bis die Angst vorüber ist.
- Beobachten Sie, wie die Angst von allein wieder abnimmt.
- Vermeiden Sie keine Angstsituationen.
- Setzen Sie sich allen Situationen aus, die Ihnen Angst machen.
- Seien Sie stolz auf Erfolge, auch auf die ganz kleinen.
- Nehmen Sie sich in Angstsituationen Zeit.
Angststörungen und Rückfällen vorbeugen
Aufgrund der Kombination von Ursachen ist das Vorbeugen einer Angststörung nicht möglich. Die Aufklärung über Angsterkrankungen schon im Kindes- und Jugendalter scheint sich aber vorbeugend positiv auszuwirken.
Bei allen psychischen Erkrankungen gelingt eine effektive Rückfall-Prophylaxe meist nur unter der Kombination von Sozio-, Psychopharmaka- und Psychotherapie. Ein kombiniertes Behandlungskonzept trägt bei einer generalisierten Angsterkrankung und anderen Angststörungen grundlegend dazu bei, die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu verbessern.
Die generalisierte Angsterkrankung verläuft eher chronisch. Das Risiko, einen Rückfall zu erleiden, ist für den einzelnen Menschen dennoch unterschiedlich. Insofern sind neben der akuten Besserung auch die langfristige Wirksamkeit und Symptomlinderung wichtige Therapieziele. Menschen, die sich einer kognitiven Verhaltenstherapie unterziehen, fühlen sich nach der Beendigung tendenziell besser. Auch die aktive Teilnahme der Angehörigen an der Therapie ist sinnvoll und beugt weiteren Rückfällen vor. Nach einer erfolgreichen psychotherapeutischen Behandlung einer Angststörung stehen die Betroffenen vor der schwierigen Aufgabe, ihr Leben und ihre Beziehungen neu ordnen zu müssen. Hier kann wiederum ein entsprechendes psychotherapeutisches Angebot eine wichtige Hilfestellung sein.
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