Essstörungen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimie (Ess-Brechsucht) und Binge Eating sind die drei Hauptformen von Essstörungen. Alle Betroffenen haben ein gestörtes Verhältnis zum Essen und dem eigenen Körper. Die Folgen von Essstörungen zeigen sich auf körperlicher, seelischer und sozialer Ebene – unbehandelt können sie zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen.
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Artikelinhalte im Überblick:
- Definition
- Gemeinsamkeiten der Essstörungen
- Unterschiede der Störungen
- Ursachen
- Symptome
- Diagnose
- Behandlung
- Folgen unbehandelter Essstörungen
Was sind Essstörungen?
Man spricht von einer Essstörung, wenn ein Mensch sein Essverhalten übermäßig stark einschränkt, kontrolliert oder die Kontrolle darüber verliert. Zu den drei häufigsten Arten von Essstörungen zählen Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimie (Ess-Brechsucht) und Binge Eating (Essattacken ohne Gegenmaßnahmen). Weitere Formen sind: Adipositas (krankhaftes Übergewicht), Orthorexie (fixiert auf gesundes Essen), Biggerexie (Muskelsucht) sowie Pica-Syndrom (Essen von Dingen, die keine Nahrungsmittel sind), Anorexia athletica (Sportanorexie).
Besonders Kinder und Jugendliche zeigen ein auffälliges Essverhalten: Ein Bericht des Robert-Koch-Instituts beschreibt bei einem Fünftel aller 11- bis 17-Jährigen in Deutschland den Verdacht auf eine Essstörung. Man geht heute davon aus, dass nachweislich 1,5 Prozent der Frauen und 0,5 Prozent der deutschen Männer unter einer der drei Hauptformen der Essstörungen leiden.
Anorexie, Bulimie, Binge Eating: Das haben sie gemeinsam
So unterschiedlich die Essstörungen auch sind, gibt es viele Gemeinsamkeiten. Diese führen dazu, dass Übergänge zwischen den einzelnen Störungen häufig und sehr fließend sind: Bei Magersucht entwickelt sich oft später eine Bulimie oder eine Binge-Eating-Störung. Das Essen beziehungsweise das Nicht-Essen bestimmt in allen Fällen das Leben der Betroffenen. Dies gilt für den Tagesablauf und Beruf sowie Gefühle und Beziehungen zu anderen. Verantwortlich für Glück oder Unglück ist für essgestörte Menschen der eigene Körper, der als Schlachtfeld für innere Spannungen dient.
Essgestörte haben in der Regel ein sehr niedriges Selbstwertgefühl und ein negatives Selbstbild. Sie wenden viel Kraft dafür auf, sich den Wünschen und Vorstellungen anderer Menschen anzupassen. Gerade bei Frauen ist das hervorstechende Merkmal für Anerkennung das Aussehen. Im Vordergrund steht die Figur, Modelmaße sind hier das Vorbild, dem nachgeeifert werden soll.
Eine weitere Gemeinsamkeit aller Essstörungen ist die mangelnde Kontrolle über sich selbst. Um den Alltag besser bewältigen zu können, werden Dinge wie Alkohol, Drogen, Nikotin, Fernsehen, Internet oder eben auch Essen unkontrolliert konsumiert und so einer psychischen Störung der Weg geebnet.
So unterscheiden sich die Essstörungen
Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die einzelnen Essstörungen ganz erheblich. Allerdings sind besonders der Unterschied zwischen Magersucht und Bulimie, sowie der Unterschied zwischen Binge Eating und Bulimie nicht auf den ersten Blick erkennbar.
Unterschied Magersucht und Bulimie
Menschen mit Anorexie und Bulimie wollen auf drastische Weise ihr Gewicht reduzieren. Bei beiden Formen der Essstörung kann es zu starkem Untergewicht kommen – besonders bei schweren Fällen der Magersucht ist das Leben der Erkrankten, durch die bestehende Mangelernährung, bedroht.
Magersüchtige versuchen ihr Essverhalten so stark zu kontrollieren, dass sie immer mehr abnehmen. Sie erleben sich als zu dick und leben in ständiger Angst, zuzunehmen oder die Kontrolle über ihr Essverhalten zu verlieren. Menschen mit Bulimie leiden dagegen an Essanfällen. Sie können nicht steuern, wieviel Nahrung sie zu sich nehmen – es kommt zum unbeherrschbaren Drang zu essen. Weil Bulimie-Erkrankte aber nicht zunehmen möchten, versuchen sie die aufgenommene Nahrung wieder loszuwerden. Dies geschieht durch selbst herbeigeführtes Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln.
Unterschied Binge-Eating und Bulimie
Wie bei der Bulimie, kommt es bei einer Binge-Eating-Störung immer wieder zu Essanfällen. Die Betroffenen können nicht steuern, was und wie viel sie essen. Die Essanfälle sind beim Binge Eating aber nicht so klar abgegrenzt wie die der Bulimie, häufig lassen sich das Ende eines Anfalls und der Neubeginn der nächsten Essattacke nicht eindeutig festlegen. Im Gegensatz zur Bulimie kommt es beim Binge Eating nicht zu Maßnahmen, die der Gewichtszunahme entgegensteuern. So führt eine Binge-Eating-Störung meist zu Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas), während eine Bulimie zu starkem Untergewicht führen kann.
Wie kann es zu Essstörungen kommen?
Essstörungen lassen sich nicht auf einen einzelnen Auslöser zurückführen. Sie entstehen vielmehr aus dem Zusammenspiel biologischer (auch genetischer), psychischer und sozialer Faktoren. Für die einzelnen Hauptkrankheitsbilder gibt es aber Faktoren, denen man auslösenden Charakter zubilligt.
In der Biografie vieler Menschen mit einer Essstörung finden sich traumatische Erfahrungen wie körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt. Auch wenn viele Betroffene aus scheinbar intakten und harmonischen Familien kommen, zeigen sich oft Beziehungsstörungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander. Negative oder unerwünschte Gefühle wie Wut, Angst oder Traurigkeit werden in diesen Familien oft unterdrückt.
An diesen Symptomen lassen sich Essstörungen erkennen
Ob Veränderungen des Essverhaltens ernstzunehmende Hinweise auf eine Erkrankung sind, oder ob es sich bei veränderten Verhaltensweisen um normale Veränderungen im Rahmen der pubertären Entwicklung handelt, kann nur ein Fachmann richtig beurteilen. Essstörungen entstehen aber nicht von heute auf morgen und die Übergänge, von merkwürdigen Essgewohnheiten hin zu einer krankhaften Störung, sind fließend. Besonders für Eltern, aber auch für Freunde und Lehrer ist es daher besonders wichtig, bei bestimmten Warnhinweisen fachkundige Hilfe einzuholen:
- starke Gewichtsveränderung
- Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen (zeigt sich besonders in panischer Angst vor Gewichtszunahme)
- verändertes Essverhalten (Ausreden um Mahlzeiten auslassen zu können, Essanfälle, Essen wird versteckt oder entsorgt)
- Frustessen
- Reizbarkeit
- Zunehmende sportliche Aktivitäten
- Vernachlässigung von Freunden und Hobbies
- Häufige Toilettengänge (anschließend riecht es nach Durchfall oder Erbrochenem)
- körperliche Veränderungen wie geschwollene Speicheldrüsen oder eingerissene Mundwinkel durch das Erbrechen, Frieren, Kreislaufprobleme, Schwindel, Haarausfall
- Abführmittel oder Mittel zum Abnehmen
- Depressive, ängstliche oder zwanghafte Verhaltensweisen
Diagnose einer Essstörung
Wenn sich Betroffene, Eltern oder Lehrer an einen Fachmann wenden wollen, sind mögliche Anlaufstellen der Hausarzt, der Kinder- und Jugendarzt, der Psychotherapeut oder eine Spezialambulanz für Essstörungen. Auch unterschiedliche Beratungsstellen mit Erfahrungen im Umgang mit Essstörungen bieten Hilfe an.
Die Diagnose einer Essstörung kann in der Regel nach einem ausführlichen Gespräch gestellt werden. Eine medizinische Diagnostik sollte aber ermitteln, ob die Symptome eventuell durch eine körperliche Erkrankung verursacht werden. Es werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt:
- Bestimmung von Gewicht und Körpergröße zur Berechnung des Body-Mass-Index (BMI)
- Messung von Blutdruck, Puls, Körpertemperatur
- Kontrolle der Durchblutung
- Untersuchung der Herzfunktion
- Blutuntersuchung
- Urinuntersuchung
- Untersuchung der Leber und Nieren
Behandlung von Essstörungen ist immer notwendig
Die Hilfe bei Essstörungen muss immer auf körperlicher und psychischer Ebene stattfinden. Oft ist es sinnvoll, die gesamte Familie in die Behandlung einzubinden. Über den konkreten Behandlungsplan jedes einzelnen Betroffenen entscheidet individuell der behandelnde Arzt. In vielen Fällen ist eine stationäre Aufnahme notwendig – nur so kann in fortgeschrittenen Fällen der Magersucht das starke, lebensbedrohliche Untergewicht behandelt werden. Andere Möglichkeiten der intensiven Behandlung sind Tageskliniken und Wohngruppen, die sich auf die Betreuung von Essgestörten spezialisiert haben.
Das erste Ziel einer Psychotherapie ist Gewichtszunahme oder -abnahme, wodurch ernsthafte körperliche Schäden verhindert werden sollen. In allen Fällen muss ein normales Essverhalten neu erlernt werden. Parallel werden die psychischen Probleme der Betroffenen in Einzel- und Gruppentherapien bearbeitet. So kann Verhaltenstherapie in Kombination mit Sport und anderen körperorientierten Therapien, eine Kunsttherapie oder eine Familientherapie helfen Entspannungstechniken und Selbstsicherheitstrainings haben sich ebenfalls bewährt. In manchen Fällen ist auch der Einsatz von Medikamenten, oft Neuroleptika, sinnvoll. Ein weiterer Ansatz ist die sozialpädagogische Betreuung, die besonders bei länger bestehenden Essstörungen sehr wichtig ist.
Nicht behandelte Essstörungen haben ernste Folgen
Alle Essstörungen schädigen den Körper, haben seelische Folgen und führen zu sozialen Auffälligkeiten. Nachfolgend werden die typischsten Folgen der drei Haupt-Essstörungen aufgelistet. Diese sind aber nur ein Ausschnitt der möglichen Auswirkungen, die letztendlich immer von Fall zu Fall unterschiedlich sind. Eines haben aber alle Formen gemeinsam: Sie beeinflussen nicht nur den Erkrankten, sondern auch in ganz erheblichem Umfang das familiäre Umfeld, Freunde sowie Schule oder Arbeitsplatz.
Anorexie | Bulimie | Binge Eating |
Starkes, teils lebensbedrohliches Untergewicht | Starkes Untergewicht | Starkes Übergewicht |
Trockene Haut und brüchige Haare | Zahnschäden durch Erbrechen | Bluthochdruck und Diabetes mellitus |
Ausbleiben der Regelblutung oder Potenzstörungen | Schäden an Gelenken und Wirbelsäule durch das Übergewicht | |
Osteoporose | Nierenschäden | Atem- und Schlafstörungen
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Wachstumsstörungen | Bauchspeicheldrüsenentzündung | Allgemeine Antriebslosigkeit |
Herz-Kreislauf-Störungen | ||
Depressionen mit Scham und Selbsthass, teilweise mit Selbstverletzungen wie Ritzen oder Kratzen | ||
Angst- und Zwangsstörungen |
Können Betroffene wieder gesund werden?
Die Heilungschancen für Patienten mit Essstörungen sind schwer zu beurteilen. Je früher die Therapie beginnt, desto besser sind die Chancen, einen Weg aus der Essstörung heraus zu finden. Man geht davon aus, dass dies bei 70-80 Prozent aller Betroffenen gelingt. Viele Erkrankte behalten aber auch nach überstandener Erkrankung ein "spezielles Verhältnis" zu Essen. Sie achten mehr als andere Menschen darauf, was und wie viel sie essen.
Bei etwas über 20 Prozent der magersüchtigen Patienten kommt es immer wieder zu Rückfällen oder einem chronischen Verlauf. Essstörungen können sogar tödlich verlaufen: Etwa 5 Prozent aller Menschen mit einer fortgeschrittenen Magersucht sterben an ihrer Erkrankung. Ohne angemessene Behandlung erhöht sich dieser Wert auf 10-15 Prozent.