Juvenile idiopathische Arthritis: Wenn Kinder an Rheuma erkranken
Die juvenile idiopathische Arthritis ist die häufigste Form von Kinderrheuma. Sie befällt bevorzugt Gelenke, kann sich aber auch auf andere Organe ausbreiten. Abhängig vom Beschwerdebild wird sie in verschiedene Subtypen unterteilt. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
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Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder können von Rheuma betroffen sein. Pro Jahr erkranken etwa 750 bis 1.500 Kinder und Jugendliche in Deutschland neu an der sogenannten juvenilen idiopathischen Arthritis, abgekürzt JIA. Die chronische Gelenkerkrankung unterscheidet sich von rheumatischen Erkrankungen bei Erwachsenen.
Artikelinhalte im Überblick:
Was ist eine juvenile idiopathische Arthritis (JIA)?
Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) gehört zu den häufigsten kindlichen rheumatischen Erkrankungen. Der Begriff fasst die wesentlichen Aspekte der Erkrankung zusammen:
- juvenile = Auftreten in Kindheit und Jugend
- idiopathische = keine Ursache bekannt
- Arthritis= Gelenkentzündung
Doch auch die Bezeichnungen "juvenile chronische Arthritis", "juvenile rheumatoide Arthritis" und "juvenile Arthritis" beschreiben das gleiche Krankheitsbild.
Fachleute sprechen von einer JIA, wenn die chronische Gelenkentzündung erstmals vor dem 16. Lebensjahr auftritt, mindestens sechs Wochen besteht und andere Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen werden. In den meisten Fällen beschränkt sich die entzündliche Krankheit auf die Gelenke, manchmal sind aber auch Organe betroffen.
Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis
Je nach Krankheitsverlauf im ersten halben Jahr wird die juvenile idiopathische Arthritis in verschiedene Erscheinungsformen unterteilt. Sind ein bis vier Gelenke betroffen, ist von einer oligoartikulären Form (griechisch oligo = wenig) die Rede. Erstreckt sich die Entzündung auf fünf oder mehr Gelenke, wird von einer polyartikulären Arthritis (griechisch poly = viel) gesprochen.
Fachleute unterscheiden folgende Erscheinungsformen der JIA:
Oligoarthritis (mehr als 50 Prozent): Bei der häufigsten Rheumaform bei Kindern sind weniger als fünf Gelenke entzündet, zu Beginn oft nur das Knie. Die Oligoarthritis geht häufig mit einer Augenentzündung einher.
Polyarthritis ohne Rheumafaktor (etwa 15 Prozent): Bei der polyartikulären juvenilen idiopathischen Arthritis sind fünf oder mehr Gelenke entzündet. Die Beschwerden treten meist erstmals im Vorschulalter auf. Es sind keine Rheumafaktoren im Blut nachweisbar. Als Rheumafaktoren werden spezielle Antikörper bezeichnet, die auf Autoimmunerkrankungen wie Rheuma hinweisen.
Polyarthritis mit Rheumafaktor (weniger als fünf Prozent): Diese Form, bei der ein Rheumafaktor im Blut nachweisbar ist, ähnelt der rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen. Sie tritt typischerweise bei jugendlichen Mädchen auf, nur selten sind jüngere Kinder betroffen.
Systemische Arthritis (weniger als zehn Prozent): Die Rheumaform, die auch als Morbus Still bezeichnet wird, beginnt mit hohem Fieber und erscheint anfangs wie eine Infektionskrankheit. Später kommen Hautausschläge hinzu. Muskulatur, Blutgefäße und innere Organe können betroffen sein. Morbus Still kann auch bei Erwachsenen auftreten.
Psoriasis-Arthritis: Rheuma im Zusammenhang mit Schuppenflechte äußert sich bei Kindern oft durch Schwellungen einzelner Finger oder Zehen. Aber auch die Wirbelsäule kann betroffen sein.
Arthritis mit Neigung zur Enthesitis: Typisch sind Entzündungen der Gelenke (vor allem Knie- und Sprunggelenke) sowie der Sehnenansätze (Enthesitis) zum Beispiel an der Ferse. Krankheitsbeginn ist meist im Schulalter.
Um welche Form der juvenilen idiopathischen Arthritis es sich handelt, lässt sich nicht immer eindeutig zuordnen.
Symptome: Wie macht sich eine JIA bemerkbar?
Je nach Krankheitsform und -verlauf reichen die Beschwerden bei einer juvenilen idiopathischen Arthritis von
- Schwellungen,
- Rötungen,
- Überwärmung und
- Schmerzen im Bereich der Gelenke
bis hin zur Beteiligung von Organen (wie Herz, Lymphknotenschwellungen, Augen oder Niere). Typisch ist eine Gelenksteifigkeit, die in der Regel nach einer längeren Ruhephase auftritt, beispielsweise am Morgen nach dem Schlafen ("Morgensteifigkeit"). Der Gesundheitszustand kann sich langsam fortschreitend, aber auch schubförmig verschlechtern.
Augenentzündung bei juveniler idiopathischer Arthritis
Zudem ist eine rheumatische Uveitis eine häufige Begleiterscheinung bei kindlichem Rheuma. Eine Uveitis ist eine Entzündung der mittleren Augenhaut (Uvea). Dazu gehören Aderhaut, Regenbogenhaut (Iris) und Ziliarkörper. Sind nur Iris und Ziliarkörper betroffen, sprechen Fachleute auch von einer Iridozyklitis. Es handelt sich um ernste Komplikationen am Auge, die unbehandelt zu Sehstörungen führen können.
Ursachen einer juvenilen idiopathischen Arthritis
Die Ursachen der juvenilen idiopathischen Arthritis sind bislang unbekannt. Genetische Faktoren dürften zwar eine Rolle spielen, allerdings handelt es sich nicht um eine klassische Erberkrankung, da sich bei keiner der JIA-Erkrankungsformen ein klar abgrenzbares Gen nachweisen lässt.
Es sind vielmehr mehrere genetische Faktoren beteiligt. Und selbst bei erblicher Vorbelastung müssen weitere Faktoren hinzukommen, damit die Erkrankung wirklich ausbricht – Fachleute sprechen von einer multifaktoriellen Krankheitsentstehung. Denn eine weitere wichtige Rolle spielen Umwelteinflüsse, die basierend auf dem erblichen Hintergrund zum Auftreten der Erkrankung beitragen.
Die genauen Krankheitsmechanismen sind zwar noch unklar, doch vermutlich liegt eine Fehlregulation des Immunsystems zugrunde, die sich vor allem in den Gelenken bemerkbar macht.
So wird eine juvenile idiopathische Arthritis diagnostiziert
Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose: Erst wenn alle Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen wurden, kann von einer JIA ausgegangen werden.
Bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung erfolgen eine körperliche Untersuchung und verschiedene Bluttests. Beispielsweise wird das Blut auf Rheumafaktoren untersucht. Allerdings gibt es keine Laborwerte, mit denen sich eine JIA eindeutig feststellen lässt.
Neben den Labortests sind bildgebende Verfahren wie Ultraschall- oder Röntgenuntersuchungen wichtig. Sie können zwar bei Krankheitsbeginn häufig noch keine typischen Veränderungen nachweisen, dienen jedoch dem Ausschluss anderer Erkrankungen. Zudem kann der*die Kinderrheumatolog*in so den weiteren Krankheitsverlauf und den Therapieerfolg kontrollieren und die Behandlung entsprechend anpassen.
Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis
Die Behandlung von Kindern mit Rheuma richtet sich nach der jeweiligen Krankheitsform, dem Verlauf und der persönlichen Situation des Kindes. In der Regel setzt sich die Therapie aus der Gabe von Medikamenten sowie Physio- und Ergotherapie zusammen. Es können aber auch weitere therapeutische Ansätze hilfreich sein. Daher ist meist enge Kooperation verschiedener Fachleute notwendig, etwa aus Bereichen wie:
- Kinderrheumatologie
- Kinderorthopädie
- Physio- und eventuell Ergotherapie
- Augenheilkunde
Medikamente bei JIA
Zum Einsatz kommen meist nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Naproxen. Zudem können bei akuten Rheumaschüben Glukokortikoide (Kortison) in die Gelenke gespritzt werden. Führen NSAR und Kortison-Spritzen nicht zu einer Besserung der Beschwerden, kann die*der Ärztin*Arzt Basismedikamente, in der Regel Methotrexat (MTX), verschreiben. Diese können den Fortschritt der rheumatischen Erkrankung verlangsamen, aber auch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen haben.
Spricht das Kind nicht auf die Basismedikamente an oder müssen diese aufgrund der Nebenwirkungen abgesetzt werden, können zudem Biologika angewendet werden. Die gentechnisch hergestellten Eiweißstoffe fangen entzündungsfördernde Substanzen des Immunsystems ab. Die Dosierung der Medikamente richtet sich meist nach dem Körpergewicht der Patient*innen.
In der Regel wird die Basistherapie (bei guter Verträglichkeit) frühestens ein bis zwei Jahre nach Eintritt eines Krankheitsstillstandes schrittweise beendet, um ein Wiederauftreten der Arthritis zu vermeiden.
Begleitende Therapien bei JIA
Neben der Behandlung mit Medikamenten sind bei einer juvenilen idiopathischen Arthritis begleitend folgende Behandlungsansätze von Vorteil:
Physio- und Ergotherapie: Mit ihrer Hilfe lässt sich die Funktionalität der Gelenke und die Muskelkraft wiederherstellen. Beim Auftreten von dauerhaften Schäden kann man zudem physiotherapeutische Hilfsmittel (etwa spezielle Schuheinlagen) anbieten, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen.
Thermotherapie: Kälteanwendungen (zum Beispiel Coolpacks) wirken abschwellend und entzündungshemmend im akuten Rheuma-Stadium. Im nicht akuten Stadium ist hingegen Wärme wohltuend. Fangopackungen oder Infrarotlampen fördern die Durchblutung und lindern Schmerzen.
Elektro-, Ultraschall-Therapie, Massage, Lymphdrainage: Sie haben ebenfalls gewebelösende, entspannende und schmerzlindernde Effekte.
Psychotherapie: Die Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit bedeuten für viele Kinder einen hohen Leidensdruck. Mithilfe einer psychosozialen Betreuung können soziale oder psychische Probleme angegangen oder im Vorfeld verhindert werden.
Sport und Bewegung bei Rheuma
Sport hilft, die Beweglichkeit der Gelenke zu erhalten. Außerdem stärkt er das Selbstbewusstsein der Kinder. Voraussetzung für alle sportlichen Aktivitäten bei Rheuma ist, dass die Entzündungen an den Gelenken und mögliche Gelenkschwellungen zurückgegangen sind und das an Rheuma leidende Kind aktuell keine Schmerzen hat. Empfehlenswert sind Sportarten, bei denen die Gelenke wenig beansprucht werden. Dazu gehören zum Beispiel Schwimmen, Radfahren oder Wandern. Es ist ratsam, vorher ärztlich abklären zu lassen, welche Sportart für das Kind geeignet ist.
Die richtige Ernährung für Kinder mit Rheuma
Spezielle Diäten oder Nahrungsergänzungsmittel sind bei Kindern mit juveniler idiopathischer Arthritis nicht nötig. Empfohlen wird eine optimierte Mischkost wie für gesunde Kinder, die jedoch vor allem fettreiche Fleischmahlzeiten etwas reduziert und den Fischkonsum erhöht. Auch die Zubereitung der Speisen mit Raps-, Lein-, Weizenkeim- und Sojaöl ist ratsam. Denn Fleisch – vor allem, wenn es fettreich ist – enthält viel Arachidonsäure, die entzündliche Prozesse im Körper fördert. Fisch und Omega-3-Fettsäuren (aus den genannten Ölen) gelten als Gegenspieler von Arachidonsäure und unterdrücken die entzündlichen Prozesse.
Verlauf und Prognose bei juveniler idiopathischer Arthritis
Je eher eine juvenile chronische Arthritis diagnostiziert und therapiert wird, umso besser für den Verlauf der Erkrankung. Denn auf diese Weise lässt sich das Auftreten schwerwiegenderer Folgen wie
- dauerhafte Funktionseinschränkungen,
- Wachstumsstörungen oder
- vorzeitige Osteoporose
hinauszögern oder sogar verhindern und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Bei etwa der Hälfte der erkrankten Kinder kommt die Erkrankung im Erwachsenenalter zum Stillstand.
Vorsorge bei juveniler idiopathischer Arthritis
Der Ausbruch einer Rheumaerkrankung bei Kindern lässt sich nicht verhindern. Allerdings sollten Eltern bei betroffenen Kindern auf einen vollständigen Impfschutz achten. Denn Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis sind besonders anfällig für schwere Infektionen, die zu einer Verschlimmerung des Rheumas führen können. Zusätzlich ist es sinnvoll, dass auch enge Bezugspersonen empfohlene Impfungen bekommen.
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