Missbrauchsgefahr bei Schmerzmitteln

Tilidin: Medikament als Modedroge

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Als Opioid wird Tilidin zur Linderung von starken Schmerzen eingesetzt. Doch das Medikament kann auch gefährlich werden: Experten warnen vor Missbrauch – vor allem unter Jugendlichen.

Tilidin
© gettyimages.com/Sigrid Gombert

Weil das Schmerzmittel Tilidin bei missbräuchlicher Verwendung eine euphorisierende und enthemmende Wirkung entfalten kann, wurde es schon in den 1970er-Jahren von Drogenabhängigen als Heroinersatz genutzt. Heute wird Tilidin in erfolgreichen deutschen Rap-Songs teilweise verharmlost, gleichzeitig deuten Indizien darauf hin, dass der Tilidin-Konsum von jungen Erwachsenen in den letzten Jahren gestiegen ist.

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Was ist Tilidin?

Tilidin gehört zur Gruppe der Opioide und hat eine schmerzstillende (analgetische) Wirkung. Als sogenannter "Prodrug" wird Tilidin erst durch die Verstoffwechselung im Körper wirksam, da es dabei in den aktiven Wirkstoff Nortilidin umgewandelt wird. Generell sind Opioide die stärksten Schmerzmittel, die als Medikamente verfügbar sind. Sie werden in schwache und stark wirksame Opioide unterschieden, wobei Tilidin zu den schwach wirksamen gehört – es hat ein Fünftel der Wirkung von Morphium.

Wie wirkt Tilidin?

Der Wirkstoff Tilidin beeinflusst das zentrale Nervensystem, indem er die Erregbarkeit der Nervenzellen hemmt: Es werden weniger Schmerzsignale an das Gehirn weitergeleitet. Missbräuchlich wird Tilidin als Droge zur Entspannung genutzt. Es vermittelt ein warmes, beruhigendes Wohlgefühl und löst Angstgefühle. Auch bekannt ist eine missbräuchliche Verwendung bei Schlägereien: Die betäubende Wirkung wird dazu genutzt, weniger Schmerzen zu spüren. Außerdem steigert Tilidin die Gewalt- und Risikobereitschaft.

Aufgrund des hohen Missbrauchspotenzials ist Tilidin heute nur in Kombination mit dem Wirkstoff Naloxon erhältlich. Naloxon ist ein Gegenspieler von Tilidin: Wird Tilidin parenteral verabreicht, also etwa mithilfe einer Spritze injiziert, blockiert das enthaltene Naloxon die Opiat-Rezeptoren und unterbindet auf diese Weise die Wirkung des Opioids. Wird das Schmerzmittel hingegen oral als Tropfen oder Tabletten in sachgemäßen Dosierungen eingenommen, tritt der sogenannte First-Pass-Effekt ein: Das Naloxon wird schnell in der Leber abgebaut und Tilidin in Nortilidin umgewandelt, sodass sich dessen Wirkung entfalten kann.

Anwendungsgebiete von Tilidin

Tilidin wird zur Behandlung von starken bis sehr starken Schmerzen eingesetzt. Zum Beispiel bei:

Darreichungsformen: Tilidin als Tropfen oder Tabletten

Bei Tilidin handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament, das teilweise bereits dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt.

  • Tilidin-Tropfen: In Tropfenform ist Tilidin schnell wirksam, weshalb es zur Behandlung von akuten Schmerzzuständen eingesetzt wird. Eine einmalige Verabreichung kann bereits ausreichend sein, anschließend wird zur Weiterbehandlung auf ein anderes Schmerzmittel gewechselt. Die schmerzstillende Wirkung der Tilidin-Tropfen setzt je nach Gebrauchsinformationen des Herstellers etwa nach zehn bis 15 Minuten ein, nach 25 bis 50 Minuten haben sie ihr Wirkmaximum erreicht und die Wirkdauer beträgt etwa vier bis sechs Stunden. Da Tilidin-Tropfen ein besonders hohes Missbrauchspotenzial bergen, unterliegen sie dem Betäubungsmittelgesetz.

  • Tilidin-Retardtabletten: Der Wirkstoff Tilidin ist in Form von Retardtabletten mit 50, 100, 150 oder 200 mg Tilidinhydrochlorid erhältlich. Durch die Retardierung (Verzögerung) wird der Wirkstoff verlangsamt freigesetzt, um eine lang anhaltende Schermerzlinderung von bis zu zwölf Stunden zu erreichen. Retardtabletten dürfen deshalb nicht geteilt werden. Aktuell unterliegen Tilidin-Retardtabletten noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz – dies könnte sich in Zukunft allerdings ändern.

Tilidin-Dosierung: Die kleinste schmerzstillende Dosis

Wie genau Tilidin dosiert werden soll, wird vom Arzt im individuellen Fall festgelegt. Die Informationen dieses Artikels dienen nicht dazu, den Rat des Arztes oder die Angaben der Packungsbeilage zu ersetzen.

Die Dosierung von Tilidin richtet sich unter anderem nach der Schmerzstärke und dem Lebensalter. Außerdem spielt es eine Rolle, ob zuvor bereits Opiode eingenommen wurden oder nicht. Ziel ist es, die Schmerzen zu behandeln und gleichzeitig unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Dabei kann die Tagesdosis zwischen 100 und maximal 600 Milligramm Tilidinhydrochlorid betragen. Grundsätzlich wählt der Arzt die kleinste schmerzstillende Dosis. Nach längerem Einnahmezeitraum wird die Dosis in Absprache mit dem Arzt schrittweise reduziert, da bei abruptem Absetzen Entzugserscheinungen auftreten können.

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Tilidin und Nebenwirkungen: Bei Missbrauch droht Abhängigkeit

Tilidin kann mit Nebenwirkungen einhergehen, die den Magen-Darm-Trakt betreffen. Bei längerer, dauerhafter und missbräuchlicher Anwendung kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen – wie etwa zu einer starken Medikamentensucht.

Besteht bereits eine Opiatabhängigkeit, können akute Entzugserscheinungen wie Ängstlichkeit, Zittern, Schwitzen und Unruhe auftreten. Auch vorhandene Entzugserscheinungen können sich durch die Einnahme von Tilidin verschlechtern. Tilidin ist nicht zur Entzugsbehandlung geeignet.

Mögliche Nebenwirkungen von Tilidin auf einen Blick:

Im Zusammenhang mit der Einnahme von Opioiden wurde von Fällen einer Nebennierenrinden-Insuffizienz berichtet. Bei einer dauerhaften Einnahme von Opioiden kann zudem ein Androgenmangel entstehen, der unter anderem zu erektiler Dysfunktion (Erektionsstörung), Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation) oder Unfruchtbarkeit führen kann.

Medikamentensucht: Wie gefährlich ist Tilidin?

Unter einer Tilidin-Therapie, die ärztlich kontrolliert wird, entwickelt sich in der Regel keine Abhängigkeit. Wird Tilidin jedoch missbräuchlich in großen Mengen und über einen längeren Zeitraum – also über die therapeutisch vom Arzt verordneten Dosen hinaus – eingenommen, besteht ein hohes Suchtpotenzial. Tilidin kann körperlich abhängig machen und zu quälenden Entzugserscheinungen wie starken Muskelschmerzen führen.

Ein kalter Entzug (plötzliches Absetzen des Suchtmittels) auf eigene Faust ist nicht zu empfehlen, da schwere gesundheitliche Gefahren drohen. Ein kontrollierter Entzug unter professioneller Hilfe ist unbedingt zu bevorzugen. Betroffene sollten sich an einen Arzt oder eine Suchtberatungsstelle wenden. Adressen und Telefonnummern von regionalen Suchtberatungen gibt es auf der Website der Deutschen Hauptstelle für Suchtanfragen e.V. (DHS), die Sucht & Drogen Hotline ist bundesweit, rund um die Uhr und anonym unter der Rufnummer 01806313031 erreichbar.

Auch einer der bekanntesten Rapper Deutschlands hat sich zu seiner vergangenen Medikamentensucht bekannt: Capital Bra, der mit Rapper Samra unter anderem in seinem Song "Tilidin" über das Schmerzmittel singt, warnte in einem Interview mit dem investigativen Rechercheformat „STRG_F“ des NDR vor dem Gebrauch.

Vorsicht bei Überdosierung von Tilidin

Bei Anzeichen einer Überdosierung sollte sofort ein Notarzt verständigt werden. Zur Behandlung wird zum Beispiel eine Magenspülung durchgeführt, das Gegenmittel Naloxon intravenös verabreicht, der Kreislauf stabilisiert und die Atmung verbessert.

Eine Überdosierung kann sich unter anderem durch folgende Symptome äußern:

  • Schwindelgefühl
  • Benommenheit
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination)
  • psychomotorische Unruhe
  • Hyperreflexie (ungewöhnlich starke Reflexe)
  • Hyperventilation (übermäßig schnelle Atmung)
  • Atemdepression (in sehr starken Fällen)

Warnhinweise für Tilidin: Achtung vor Wechselwirkungen mit Alkohol

Tilidin kann Wechselwirkungen mit anderen Opiaten, Medikamenten oder Alkohol zeigen. Der Arzt oder Apotheker ist daher stets darüber zu informieren, ob weitere Arzneistoffe eingenommen werden.

Gemeinsam mit Alkohol oder zentral dämpfenden Arzneimitteln wie Benzodiazepine (beruhigende, schlaffördernde oder muskelentspannende Arzneimittel) kann Tilidin schwere Nebenwirkungen auslösen – Atemdepression, tiefe Sedierung und Koma bis hin zum Tode. Bei serotonergen Arzneimitteln wie Triptanen oder Antidepressiva kann es zu einem Serotonin-Syndrom kommen. Dabei handelt es sich um einen Symptomkomplex, der tödlich enden kann, wenn er nicht schnell behandelt wird.

Liegt eine Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff vor, besteht eine Porphyrie (Stoffwechselerkrankung) oder eine ausgeprägte Leberinsuffizienz darf Tilidin nicht eingenommen werden. Während Schwangerschaft und Stillzeit wird aufgrund der geringen Studienlage zur Verwendung von anderen Substanzen geraten. Auch bei Kindern gibt es Wichtigstes zu beachten: Für Kinder unter 14 Jahren sind Tilidin-Retardtabletten nicht geeignet. Tilidin-Tropfen sollten genau nach ärztlicher Anordnung verabreicht werden – die Dosis richtet sich unter anderem nach dem Körpergewicht. Tilidin-Tropfen dürfen bei Kindern unter zwei Jahren nicht angewendet werden.

Unter Tilidin sind die Straßenverkehrstauglichkeit und die Fähigkeit, Maschinen zu bedienen, eingeschränkt: Das Schmerzmittel beeinträchtigt Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen.

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