Oxytocin: Wirkung des Kuschelhormons und wie Sie es auslösen
Der will doch nur kuscheln? Von wegen! Der Botenstoff Oxytocin kann viel mehr als ihm bisher zugetraut wurde. Viele Forschungen befreien das Hormon gerade von seinem Schmuse-Image und zeigen, dass wir damit zukünftig sogar Angststörungen behandeln könnten.
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Kurzübersicht
Oxytocin ist ein körpereigener Botenstoff, der im Gehirn gebildet wird. Das Hormon spielt bei Schwangerschaft und Geburt eine große Rolle, denn es regt die Gebärmutter zu Kontraktionen an und sorgt dafür, dass die Muttermilch beim Stillen fließt. Seinen Spitznamen "Kuschelhormon" trägt es, weil das Hormon auch als soziales Bindemittel funktioniert. Es stärkt das Vertrauen und fördert auf diese Weise die Mutter-Kind-Bindung. Weil Oxytocin das menschliche Sozialverhalten beeinflussen kann, lässt es sich zukünftig möglicherweise zur Linderung von Symptomen psychischer Erkrankungen wie Angststörungen oder Autismus nutzen. Hier ist jedoch noch weitere Forschung nötig.
Ob Treue-, Kuschel-, Bindungs- oder Vertrauenshormon – Oxytocin hat viele Namen. Und mindestens genauso viele Funktionen erfüllt es in unserem Körper: Im Gehirn freigesetzt löst es Geburtswehen aus, bringt den Muttermilchfluss in Gang, hat einen positiven Einfluss auf unser Sozialverhalten, mindert Ängstlichkeit, hemmt Aggressionen und weckt ein Gefühl der Verbundenheit.
Artikelinhalte auf einen Blick:- Wirkung
- Oytocin für Frauen und Männer wichtig
- Oxytocin bei psychischen Erkrankungen
- Oxytocin-Nasensprays
- Nebenwirkungen
- So schütten Sie mehr Oxytocin aus
Wirkung von Oxytocin auf Schwangerschaft, Geburt und Psyche
Bei dem Hormon Oxytocin handelt es sich um einen körpereigenen Botenstoff, der in der Schaltzentrale unseres Körpers gebildet wird – dem Gehirn. Genauer gesagt im Hypothalamus. Die Hypophyse, also die Hirnanhangdrüse, schüttet es aus und verteilt den Stoff über unsere Blutbahn dorthin, wo er benötigt wird – zum Beispiel zur Gebärmutter oder der weiblichen Brust. In der Schwangerschaft wird vermehrt Oxytocin gebildet, weshalb das Hormon in der Frauenheilkunde schon lange bekannt ist. Es spielt bei der Geburt und beim Stillen eine große Rolle, weil es die Gebärmutter zu Kontraktionen anregt und in der Brustdrüse eine Milchentleerung bewirkt. Dieser Wirkungsweise hat es übrigens seinen altgriechischen Namen zu verdanken, der übersetzt "schnelle Geburt" bedeutet.
Der Spitzname "Kuschelhormon" kommt ebenso wenig von ungefähr: Das Hormon unterstützt die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. Aus Fremden werden Familien. "Oxytocin lässt Nähe zu und fördert auf diese Weise, dass Mütter mit ihren Babys eine Bindung aufbauen. Im Wochenbett ist der Oxytocinspiegel bei Frauen deshalb besonders hoch", erklärt Herpertz.
"Bei Oxytocin handelt es sich um eine äußerst interessante Substanz", sagt Prof. Dr. Sabine Christiane Herpertz, ärztliche Direktorin der Klinik für allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg. Gemeinsam mit ihrem Team erforscht sie gerade, wie Oxytocin bei sozialer Ängstlichkeit, in der Schmerzforschung und als Therapie für die Interaktion psychisch kranker Eltern mit ihren Kindern zum Einsatz kommen könnte. Denn schon jetzt wissen wir, dass Oxytocin nicht nur dafür zuständig ist, dass wir uns nach Streicheleinheiten wohler fühlen: Sehr wahrscheinlich löst der "Glücksbote" als Schlüssel zu unserer Gefühlswelt noch ganz andere Probleme.
Keine reine Frauensache: Oxytocin auch für Männer wichtig
All das lässt natürlich vermuten, es würde sich bei Oxytocin um ein typisches Frauenhormon handeln. Doch dem ist nicht so: Zwar produzieren Frauen mehr Oxytocin als Männer, aber auch beim männlichen Geschlecht ist der Botenstoff von Bedeutung und beeinflusst sein Sozialverhalten. "Wenn Väter zum Beispiel mit ihren Kindern spielen, führt das sowohl beim Mann als auch beim Kind zu einer vermehrten Ausschüttung von Oxytocin, die ihre Bindung stärkt", so Herpertz.
Dass von dem Hormon eine besondere Wirkung für beide Geschlechter ausgeht, konnte ein Experiment von Psychologin Prof. Dr. Beate Ditzen beweisen: Sie bat Paare darum, sich über ein typisches Konfliktthema zu streiten. Vor der Diskussion wurde ihnen entweder ein Placebo oder Oxytocin als Nasenspray verabreicht. Das Ergebnis: Die Paare, die Oxytocin erhalten hatten, diskutierten konstruktiver und bei ihnen waren niedrigere Werte des Stresshormons Cortisol zu finden. Könnte Oxytocin also die Lösung für Paarprobleme sein, wenn sonst ständig die Fetzen fliegen? "Noch nicht", so die Expertin. "Denn die Forschung befindet sich hier erst auf dem Weg. Zukünftig könnte Oxytocin aber durchaus als ergänzender Zusatz bei einer Paartherapie zum Einsatz kommen."
Durchbruch in der Forschung: Oxytocin bei psychischen Erkrankungen hilfreich
Ganz ähnlich sieht es auch bei dem Einsatz von Oxytocin in Verbindung mit psychischen Erkrankungen aus: Noch wird es nicht zur Linderung von Symptomen eingesetzt, aber in Zukunft ist das durchaus denkbar. Denn die Forschung gelangte auf diesem Gebiet bereits zu bahnbrechenden Erkenntnissen: Studien haben gezeigt, dass Oxytocin soziale Kompetenzen und Vertrauen steigern und Stress dämpfen kann.
Der Grund: Oxytocin verändert die Reaktion des Mandelkernkomplexes (Amygdala), der für Emotionen wie Wut oder Angst zuständig ist und dies erstaunlicherweise in die Richtung, wie es für das Individuum zuträglich ist. "Es kann die Aufmerksamkeit für bestimmte Reize erhöhen oder vermindern", erklärt Herpertz. Bei Autisten habe man zum Beispiel herausgefunden, dass soziale Reize unter Oxytocingabe für sie interessanter werden und die Reaktion des Mandelkernkomplexes zunimmt. Bei Menschen mit sozialer Ängstlichkeit dagegen nahm die Reaktion der Amygdala bei Konfrontation mit Gesichtern ab – ihr Verhalten ließ auf weniger Ängstlichkeit schließen. Borderline-Patienten schienen ärgerliche Gesichter weniger bedrohlich zu erleben.
Oxytocin in der Psychotherapie – noch Zukunftsmusik
"Bisher sind die nachgewiesenen Effekte allerdings noch nicht so groß, dass daraus eine konkrete Behandlung abgeleitet werden kann", so die Klinikdirektorin. "Dazu müssen wir erst herausfinden, welche Dosen erforderlich sind und wie wir sie am besten verabreichen". Doch genau das ist leider gar nicht so einfach, denn die Dosierung hängt von Geschlecht, Kontext und individuellen Persönlichkeitsmerkmalen ab. Die Forschung dazu läuft weltweit bereits auf Hochtouren. "Erst, wenn wir uns über alle Faktoren im Klaren sind, kann daraus eine ärztliche Verschreibung von Oxytocin erfolgen."
Eine solche Behandlung mit Oxytocin könnte dann in Zukunft in Verbindung mit einer Psychotherapie erfolgen und etwa dazu eingesetzt werden, in der Anfangsphase überhaupt erst den Aufbau einer therapeutischen Beziehung zwischen Betroffenem und Behandler zu ermöglichen. Eine wirkliche Hilfe sieht die Expertin auch für traumatisierte Mütter, die Schwierigkeiten haben, eine Bindung zu ihrem Baby aufzubauen: "Denn bei ihnen wurde festgestellt, dass sie bei der Interaktion mit ihrem Kind weniger Oxytocin ausschütten. Die Verabreichung des Stoffs könnte den Hormonmangel ausgleichen."
Oxytocin als Nasenspray oder Parfüm – eine gute Idee?
Wenn die Forscher mit Oxytocin experimentieren, verabreichen sie es ihren Testpersonen als Nasenspray. "Hier wissen wir mittlerweile, dass die Substanz auch wirklich im Gehirn ankommt", sagt Herpertz. Rund 45 Minuten dauert es, bis die erwünschte Wirkung eintritt, der Wirkungshöhepunkt hält etwa eineinhalb Stunden an. In dieser Zeit versuchen die Experten, die wichtigsten Untersuchungen durchzuführen.
Auch für den Otto-Normalverbraucher hat sich das flüssige Vertrauen unter Bezeichnungen wie "Liquid Trust" bereits auf dem Markt eingeschlichen. Ein Sprühstoß Nasenspray hier, ein Tröpfchen Parfüm da – und schon gehen Sie entspannt ins erste Date oder kommen selbstsicher durch das Bewerbungsgespräch. Schön wäre das vielleicht, im Moment sind solche Effekte aber noch zu viel versprochen: "Die Datenlage reicht nicht aus, um zum jetzigen Zeitpunkt ein Produkt herzustellen, dass solche Hoffnungen erfüllen könnte", erklärt die Oxytocin-Forscherin.
Mögliche Nebenwirkungen von Oxytocin
Dauerhaft zu frei verkäuflichen Oxytocin-Präparaten zu greifen, davon rät die Expertin auf jeden Fall ab: "Auch wenn keine großen Nebenwirkungen bekannt sind, könnte eine längerfristige Einnahme zu einer Störung des Hormonsystems führen". Zum aktuellen Stand der Forschung wissen die Experten nämlich nicht, wie sich eine chronische Einnahme von Oxytocin auswirkt. In der Schwangerschaft sei die Anwendung auf eigene Faust absolut ungeeignet. Als Medikament wird der Wirkstoff hier nur unter professioneller Aufsicht verabreicht, um Wehen einzuleiten oder zu unterstützen.
Dass Oxytocin nicht nur kuscheln, sondern auch ganz andere Seiten aufziehen kann, zeigte sich übrigens in einer Untersuchung des niederländischen Psychologen Carsten de Dreu. Während Oxytocin normalerweise Aggressivität mindert, erhöhte sie sich seinen Experimenten zufolge gegenüber Mitgliedern, die nicht der sozialen Gruppe angehörten: Die Probanden bevorzugten das eigene Team und ihre Abwehrhaltung gegen Fremde nahm zu.
Welchen Rückschluss das nun auf das Hormon zulässt? Darüber diskutieren Experten kontrovers: Die eigene Gruppe zu bevorzugen, müsse nicht unbedingt als Aggression gewertet werden, sondern sei möglicherweise eher mit dem Verhalten von einem Muttertier vergleichbar, das seine Jungen beschützt.
Oxytocin erhöhen: Kuschelhormon bei Frauen und Männern auslösen
Noch braucht die Wissenschaft also eine Weile, bis sie den Oxytocin-Code vollständig geknackt hat. Doch bis dahin kann jeder selbst dafür sorgen, dass die Hormone nur so fliegen – und zwar auf ganz natürliche Weise mit Kleinigkeiten in der zwischenmenschlichen Interaktion!
Sechs natürliche Wege, Oxytocin auszuschütten:
Streicheln: Dem Partner durchs Haar fahren oder ihm sanft die Wange streicheln – das sind Berührungen, die eine Oxytocinausschüttung fördern und ihre partnerschaftliche Bindung stärken. Gönnen Sie sich also ruhig öfter mal ein paar Streicheleinheiten. Wie beim Streicheln wird auch durch das Massieren, die Freisetzung von Oxytocin gefördert.
Sex: Beim Geschlechtsverkehr – und gerade nach dem Orgasmus – wird sowohl beim Mann als auch bei der Frau Oxytocin freigesetzt. Das führt dazu, dass wir uns danach besonders zufrieden und miteinander verbunden fühlen.
Umarmen: Eine Umarmung tut gut – egal, ob sie vom Partner, von einem Familienmitglied, einem Freund oder von einer anderen Person kommt. Diese Form des Körperkontakts drückt Unterstützung aus, die vom Gehirn mit einem Plus an Oxytocin honoriert wird, um unsere Angst oder Wut zu mindern.
Stillen: Beim Stillen schütten frisch gebackene Mamas sehr viel Oxytocin aus, wodurch die Mutter-Kind-Bindung gestärkt wird. Auch der direkte Körperkontakt zwischen Mutter und Baby, aber auch zwischen Vater und Baby, kann eine Oxytocin-Ausschüttung bewirken.
In die Augen schauen: Sogar der Blickkontakt setzt Oxytocin frei, weshalb der berühmte "Hundeblick" auch so effektvoll wirkt.
Händchenhalten: Die Hand des anderen zu halten, stärkt nicht nur die Bindung zum Partner in einer Liebesbeziehung. Auch andere Vertrauensverhältnisse können gefestigt werden, wenn man einander die Hand reicht.
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