Bulimie: Raus aus der Ess-Brech-Sucht
Bulimie ist eine psychisch bedingte Essstörung. Symptome sind häufige Essattacken und anschließende Versuche, die aufgenommenen Kalorien wieder loszuwerden. In vielen Fällen bemühen sich die Betroffenen nach einem Anfall verzweifelt, alles Gegessene zu erbrechen.
Bulimie (Ess-Brech-Sucht, Bulimia nervosa) bezeichnet eine psychosomatische Essstörung mit Suchtcharakter. Betroffene versuchen, unkontrollierte Essattacken nachträglich ungeschehen zu machen – was die Essstörung vom Binge-Eating unterscheidet. Auf welche Weise Bulimiker die überzähligen Kalorien loswerden, ist nachrangig: Viele bringen sich selbst mit dem Finger zum Erbrechen. Aber auch der Missbrauch von Abführmitteln, Einläufen, Entwässerungspillen oder Fasten sind unter Bulimikern verbreitet. Andere zwingen sich im Anschluss zu exzessivem Sport.
Der Name der Krankheit kommt vom griechischen Wort "Bulimos" und heißt frei übersetzt so viel wie Bärenhunger (wörtlich: "Ochsenhunger"). Er bezieht sich auf die unkontrollierten Heißhungerattacken. Wie Magersüchtige weisen auch Bulimie-Betroffene eine Störung des eigenen Körperbildes auf, die jedoch weniger stark ausgeprägt ist. Trotz Normal- oder Untergewicht halten sich viele der Patienten für zu dick – für Bulimiekranke sind das Körpergewicht und insbesondere die Gewichtszunahme mit Angst besetzt (Gewichtsphobie).
Frauen häufiger von Bulimie betroffen als Männer
Von einer Bulimia nervosa sind am häufigsten Frauen betroffen: Neun von zehn Bulimikern sind weiblich und etwa drei Prozent der jungen Frauen zwischen 15 und 35 Jahren sind erkrankt. Die Krankheit beginnt im Schnitt mit 17 oder 18 und damit etwas später als Magersucht (Anorexie), besonders viele Bulimikerinnen finden sich in der Altersgruppe zwischen 18 und 20. Anfälliger für Essstörungen machen Berufe, bei denen der Körper im Mittelpunkt steht. Anderen gegenüber legen Betroffene meist ein völlig normales Essverhalten an den Tag, "funktionieren" in Schule oder Job und sind sozial integriert – im Gegensatz zu vielen Magersüchtigen, die sich mit der Zeit mehr und mehr isolieren.
Hauptsymptom: Wiederholte Essanfälle und Kompensation
Hauptsymptom der Bulimie sind wiederholte unkontrollierte Heißhunger- und Essattacken und anschließend gewichtsreduzierende Maßnahmen, um die aufgenommene Nahrungsmenge zu kompensieren. Im Rahmen dieser Essattacken kommt es vor, dass die Patienten buchstäblich essen, bis nichts mehr da ist. Manchmal planen Betroffene ihre Essanfälle und bereiten sich durch umfangreiche Einkäufe darauf vor. Während Heißhungergefühle bei Gesunden und Schwangeren hin und wieder auftreten, stopfen sich Bulimiker mehrmals pro Woche oder pro Tag voll. Oft werden im Zuge der Essattacken die Vorräte der Familie oder Mitbewohner geplündert – hinterher stellt sich große Scham ein. Manche Bulimiker verschulden sich sogar, um die großen Nahrungsmengen besorgen zu können oder sie begehen Ladendiebstahl.
Abführmittel, Erbrechen, Sport: Unerträgliche Angst vor Gewichtszunahme
Nach den Heißhungerattacken plagen Betroffene Schuldgefühle und sie versuchen, die dick machende Wirkung der Nahrung zu kompensieren. Um die gefürchtete Gewichtszunahme zu verhindern, zwingen sich Bulimiekranke häufig zum Erbrechen. Um ihr Gewicht zu halten oder zu reduzieren, greifen sie außerdem auf Abführmittel (Laxantien), Entwässerungsmittel (Diuretika), Appetitzügler, episodisches Fasten und andere geeignet erscheinende Maßnahmen zurück.
Wenn Erbrechen oder sonstige Maßnahmen zum Halten des Körpergewichts im Zuge einer Magersucht vorkommen, sprechen Experten von einer Anorexie vom bulimischen Typ. Sie unterscheiden darüber hinaus zwischen dem purging-Typ, bei dem Betroffene erbrechen oder abführen, sowie dem non-purging-Typ, bei dem andere Methoden wie Fasten und Trainieren als Kompensation dienen. Ein Beispiel für letztere ist die Sportbulimie, die mit einer Sucht nach Sport verschmelzen kann.
Welche Ursachen und Auslöser stecken hinter der Bulimie?
Die Ursachen der Bulimie sind wenig spezifisch und können wie bei anderen Essstörungen nicht exakt bestimmt werden. Jeder Patient hat eine eigene Geschichte und oft einen Leidensweg hinter sich, was Diäten oder Erfahrungen in der Kindheit angeht. Forschungsergebnisse weisen aber darauf hin, dass sowohl erbliche (genetische) als auch Umweltfaktoren an der Entstehung einer Bulimie teilhaben.
Folgende Risikofaktoren können die Entstehung der Ess-Brech-Sucht begünstigen:
- Häufige Diäten
- Geringes Selbstwertgefühl
- Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper
- Gefühle wie Einsamkeit
- Körperliche Vernachlässigung
- Probleme im familiären Umfeld und geringe soziale Unterstützung
- Familiäre Vorbelastung
- Sexueller Missbrauch
- Psychologische Faktoren wie Persönlichkeitsstörungen
- Vorherrschende Schönheitsideale
Bulimie häufig verbunden mit Borderline-Störung, Sucht und Depression
Außerdem leiden Bulimiker, ähnlich wie Magersüchtige, häufig an einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen Figur (Körperschemastörung). Selbstverletzungen kommen unter Bulimiepatienten gehäuft vor. Auch Alkohol-, Tabletten- und Drogenmissbrauch werden oft beobachtet. Zahlreiche Betroffene weisen zudem eine Magersucht (Anorexia nervosa, Anorexie) in der Krankengeschichte auf. Ebenso kann die Bulimie in eine Anorexie übergehen oder sich phasenweise mit ihr abwechseln.
Auch selbstverletzendes Verhalten ist unter Bulimikern überdurchschnittlich häufig, sogar Depressionen und eine Borderline-Störung können aus der Bulimie heraus erwachsen. Häufig in Kombination mit einer Bulimie treten außerdem verschiedenste Süchte (Kaufsucht, Rauchen, Alkohol) sowie Minderwertigskeitsgefühle auf. Generell gelten Bulimiekranke wie Magersüchtige als leistungsorientiert.
So diagnostiziert der Arzt eine Bulimie
Haben sich Betroffene eingestanden, dass sie unter der Essstörung leiden und Hilfe suchen, wird sie der Arzt im Zuge einer gründlichen Diagnostik zunächst allgemein zu Krankheitsgeschichte, Ernährungsverhalten, Beurteilung des Körpergewichts, körperlicher Aktivität, Sexualentwicklung, Leistungsverhalten und sozialen Beziehungen befragen.
Bei der Diagnose einer Bulimie stützt sich der Arzt auf folgende Kriterien:
- Wiederholte Essanfälle verschiedener Frequenz, bei denen innerhalb von wenigen Stunden überdurchschnittlich viel gegessen wird (bis zu 10.000 kcal)
- Gefühl des Kontrollverlusts über die Nahrungsmenge während des Essanfalls
- Kompensation der übermäßigen Kalorienaufnahme durch wiederkehrendes und unangemessenes Verhalten, zum Beispiel Erbrechen, Missbrauch von entwässernden und abführenden Arzneimitteln oder exzessiver Sport
- Essattacken und anschließendes Kompensieren kommen drei Monate am Stück mindestens zwei Mal in der Woche vor
- Körpergewicht und Figur nehmen eine herausragende Stellung im Leben des Betroffenen ein
Je nach Gegebenheiten erfordert die Diagnose einer Bulimie darüber hinaus den Einsatz von apparativen Diagnoseverfahren wie EKG und Röntgenuntersuchungen sowie die Bestimmung verschiedener Blutwerte. Aus den Säureschäden am Gebiss ergibt sich ein typisches Zahnbild, das auf die Erkrankung hinweist – selbst wenn die Betroffenen ihre Essstörung nicht zugeben wollen.
Mit diesen Therapien kann eine Bulimie behandelt werden
Verglichen mit Anorektikern zeigen Menschen mit Bulimie für gewöhnlich mehr Einsicht, dass sie krank sind. Mit einer geeigneten Behandlung bildet sich die Bulimie nach fünf bis zehn Jahren zwar bei etwa 50 Prozent der Patienten vollständig zurück, 30 Prozent erreichen jedoch nur eine teilweise Heilung. Etwa 20 Prozent der Bulimiker leiden dauerhaft an einem zwanghaft gestörten Essverhalten. Die Prognose hängt zum Beispiel vom Familienumfeld ab, dem Zeitpunkt des Beginns der Essstörung oder auch anderen psychischen Krankheiten, die häufig in Kombination mit Bulimie vorkommen.
Drei Bausteine bilden Behandlung der Bulimie:
Psychotherapie und – je nach Alter der Patienten – Elternberatung oder Familientherapie zielen darauf ab, das verzerrte Körperbild mithilfe des Therapeuten wieder geradezurücken. Außerdem sollen das Selbstwertgefühl von Betroffenen gestärkt und ihre Beziehungsfähigkeit verbessert werden. Vorausgegangene Traumata sollten aufgearbeitet und akute oder chronische Konflikte nach Möglichkeit gelöst werden. Die Eltern jüngerer Bulimiepatienten sollen lernen, kompetenter mit der Krankheit ihres Kindes umzugehen und Konfliktsituationen innerhalb der Familie zu meistern.
Die angeleitete Selbsthilfe zur Behandlung der Essstörung verbindet Informationen zur Ernährung mit einer kognitiven Verhaltenstherapie. So werden die Patienten angehalten, ein Ernährungstagebuch zu führen, über den Zusammenhang von Essensbeschränkung und Heißhungerattacken aufgeklärt, und ein Essensplan inklusive Zwischenmahlzeiten aufgestellt, der geeignet ist, Heißhunger zu verhindern. Grundpfeiler ist die Verhaltenstherapie, bei der regelmäßig Rückmeldungen durch einen Therapeuten erfolgen.
Die medikamentöse Therapie der Bulimie richtet sich vor allem gegen ihre psychischen Begleiterscheinungen. Neben der eigentlichen Essstörung stehen dabei besonders depressive Verstimmungen im Vordergrund. Zum Einsatz kommen sogenannte Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) wie etwa Fluoxetin oder Fluvoxamin. Eine medikamentöse Behandlung sollte nie ohne begleitende Psychotherapie erfolgen, andernfalls steigt die Rückfallgefahr sowie das Risiko für weitere psychische Störungen.
Ambulante oder stationäre Behandlung?
Abhängig von der Schwere des Krankheitsbildes erfolgt die Behandlung stationär in einem Krankenhaus, in einer Tagesklinik oder ambulant. Mehrheitlich können Betroffene ambulant behandelt werden. Sie kann vielen Bulimikern helfen, ein gesünderes Verhältnis zu ihrem Körper zu finden und die Essstörung letztendlich zu besiegen. In manchen Fällen ist die Einweisung ins Krankenhaus aber unumgänglich.
Gründe für eine stationäre Behandlung der Bulimie:
- Körperliche Komplikationen wie etwa schwere Elektrolytstörungen
- Häufige Essattacken oder häufiges Erbrechen
- Schwerwiegende psychische Begleiterkrankungen
- Ausgeprägtes Selbstverletzungsverhalten
- Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen, Tabletten)
- Festgefahrene familiäre Konfliktsituationen
- Verdacht auf Misshandlung oder Missbrauch
- Scheitern ambulanter oder tagesklinischer Behandlungsversuch
Bulimie: Verlauf und Folgeschäden der Essstörung
Oft beginnt die Ess-Brech-Sucht nach der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter. Erste Anzeichen sind häufig Heißhungerattacken, die während einer Diät auftreten. Manchmal beginnt die Bulimie auch mit einer vorangegangen magersüchtigen Phase. Diese Phase wurde zwar überwunden und das Gewicht normalisierte sich, aber aus Angst vor weiterer Gewichtszunahme erbrechen die Betroffenen die aufgenommene Nahrung wieder.
Typisch für den Verlauf einer Bulimie sind zudem Phasen, in denen ein normales Essverhalten im Wechsel mit Phasen der Heißhungerattacken besteht. Bisweilen wechselt sich die Bulimie mit einer anderen Essstörung wie der Magersucht ab. Die Fastenperioden und das Erbrechen lösen ein Ungleichgewicht im Energiehaushalt aus, das den Heißhunger weiter befeuert und weitere Essattacken fördert. Die Betroffenen verlieren zunehmend die Kontrolle über das Essverhalten, auch wenn die Zahl der Anfälle innerhalb des Bulimie-Verlaufs stark schwanken kann.
Spätfolgen und Begleiterkrankungen der Bulimia nervosa
Neben der psychischen Belastung, der sich die Betroffenen ausgesetzt sehen, zieht die Bulimie körperliche Schäden nach sich. Zu ihnen zählen zum Beispiel Karies und Verätzungen oder Risse der Speiseröhre durch die Magensäure, der das Organ beim wiederholten selbst herbeigeführten Erbrechen ausgesetzt sind. Der weitere Verdauungstrakt kann ebenfalls schwere Schäden davontragen, zum Beispiel durch Magenrisse oder Erweiterungen des Organs. Die Bauchspeicheldrüse wird ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Fachleute erkennen Betroffene darüber hinaus an trockener Haut (bei etwa 20 Prozent der Betroffenen) und Entzündungen der Speicheldrüsen.
Besteht die Bulimie über einen längeren Zeitraum, können die Ess-Brech-Attacken zu starken Schwankungen der Konzentration verschiedener Elektrolyte im Blut, insbesondere von Kalium und Kalzium führen. Diese Mineralstoffe sind von zentraler Bedeutung für die Funktion des Herzens. In schweren Fällen können diese Elektrolytverschiebungen den Herzrhythmus stören und lebensbedrohlich sein. Schäden durch einen Kaliummangel trägt außerdem die Niere davon. Bulimische Frauen berichten darüber hinaus häufiger von Menstruationsstörungen wie dem Ausbleiben der Monatsblutung, welches die Fruchtbarkeit herabsetzen kann.
Kann man der Essstörung vorbeugen?
Inzwischen gibt es viele Präventionsprogramme, in denen Mädchen und junge Frauen lernen sollen, Empathie für Essgestörte zu entwickeln, um so das eigene Verhalten kontrollieren und gegebenenfalls ändern zu können. Laut Experten ist es jedoch wichtig, dass die Programme über einen längeren Zeitraum laufen, um zu greifen.
Zusätzlich mahnen Essstörungsexperten dazu, Ärzte, Apotheker und Pädagogen zu sensibilisieren, damit sie Probleme im Essverhalten frühzeitig erkennen und Patienten oder Schüler mit erhöhtem Risiko darauf ansprechen sowie beraten können. Umfangreiches Informationsmaterial für Lehrer, aber auch für Eltern, Freundinnen und Angehörige stellt zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Verfügung.
Rat und Hilfe im Netz bei Bulimia nervosa
Wurde die Diagnose Bulimie gestellt, steht in erster Linie der behandelnde Arzt für alle Fragen zur Seite. Daneben bieten zahlreiche Beratungsstellen Informationen sowie Rat und Hilfe bei Bulimie an. Da die Essstörung in den meisten Fällen psychische Ursachen hat, kann der Kontakt zu anderen Betroffenen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen, gut bei der Bewältigung helfen.
Weiterführende Informationen bei Bulimie:
- Angebot des Bundesministeriums für Gesundheit zum Thema Bulimie: www.leben-hat-gewicht.de
- Informationsangebot des Vereins Hungrig-Online zu Essstörungen: http://www.hungrig-online.de
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): www.bzga-essstoerungen.de
- ANAD e.V. Beratungsstelle: www.anad-pathways.de
- Beratungsstelle für Essstörungen Cinderella e.V.: www.cinderella-rat-bei-essstoerungen.de
- Waage e.V.: www.waage-hh.de
Dringend abzuraten ist von Angeboten der sogenannten Pro-Mia-Bewegung, die sich während der vergangenen Jahre im Netz formiert hat. Die Verantwortlichen erklären ihre Essstörung dabei zu einem absichtlich gewählten Lebensstil und sprechen der Bulimie den Krankheitscharakter ab. Das kann für Betroffene jedoch lebensgefährlich sein.
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