Erbkrankheit

Chorea Huntington: Rätselhafte Gehirnerkrankung

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Chorea Huntington ist eine seltene Gehirnerkrankung, die meist vererbt wird. Bisher gibt es keine ursächliche Behandlung.

Gehirn
© iStock.com/dem10

Die Huntington Krankheit ist eine erbliche Funktionsstörung des Gehirns, die unaufhaltsam fortschreitet und sehr unterschiedliche Verlaufsformen aufweist. Andere Namen für die Gehirnerkrankung sind: Morbus Huntington, Huntington's Disease, Huntington Erkrankung, Huntington Krankheit und die veraltete Bezeichnung Veitstanz.

Artikelinhalte im Überblick:

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Was ist Chorea Huntington?

Es handelt sich um eine seltene Krankheit des Gehirns, die meist im Alter zwischen 35 und 45 Jahren ausbricht. Dabei kommt es zu neurologischen Störungen, psychischen Veränderungen sowie zunehmender Minderung der intellektuellen Fähigkeiten. Der Auslöser der Erkrankung ist eine Genmutation.

Seinen Namen hat die Krankheit vom amerikanischen Arzt George Huntington, der sie 1872 erstmals beschrieb. Die Bezeichnung Chorea stammt vom griechischen Wort choreia ab, welches Tanz bedeutet. Hiermit sind die typischen Bewegungen des Erkrankten gemeint, die plötzlich einsetzen und völlig unwillkürlich sind. Sie betreffen besonders Arme und Beine und können sehr entfernt an eine Art Tanz erinnern. Dazu kommen noch ein typisches, unsicheres Gangbild sowie Grimassenschneiden, sodass hieraus der alte Name Veitstanz entstand. Diese Bewegungen machen aber nur einen Teil des Krankheitsbildes von Chorea Huntington aus, weshalb man heutzutage eher von der Huntington Krankheit spricht.

Man geht davon aus, dass es in Deutschland etwa 8.000 Erkrankte gibt, was einer Krankheitshäufigkeit von zwei bis acht Erkrankten pro 100.000 Menschen entspricht.

Welche Folgen hat Morbus Huntington für das Gehirn?

Die Veränderung im Erbgut führt dazu, dass der Körper veränderte Eiweißbausteine bildet. Im Falle der Huntington Krankheit wird der falsche Baustein Polyglutamin genannt, ist sehr groß und hat die Eigenschaft, mit sich selbst oder anderen Eiweißbausteinen zu verklumpen. Polyglutamin lässt sich im Zellkern der Nervenzellen nachweisen und führt dazu, dass die Nervenzellen nicht mehr richtig funktionieren. Diese, „suffering neuron“ (leidende Nervenzelle) genannten Zellen, werden mit der Zeit komplett zerstört.

Durch diese Vorgänge kommt es bei Chorea Huntington zum Absterben der Nervenzellen, was zu den psychischen und neurologischen Veränderungen bei den Betroffenen führt.

Ursachen von Morbus Huntington

Es war schon lange klar, dass die Huntington Krankheit vererbt wird. 1993 konnte eine Veränderung (Mutation) an einem Gen des Chromosoms 4 als Auslöser identifiziert werden. Die Mutation besteht in einer Vermehrung bestimmter Bausteine der Erbsubstanz (Nukleinsäuren), die ab einer bestimmten Häufigkeit zum Auftreten der Chorea Huntington führen.

Die Vererbung von Chorea Huntington erfolgt autosomal dominant. Dies bedeutet, dass die Veränderung einer der beiden vorliegenden Erbanlagen (Chromosomen) ausreicht, um die Erkrankung auszulösen. Die erkrankte Erbanlage „dominiert“ gegenüber dem gesunden zweiten Chromosom. Die Kinder der Träger dieser Erbanlage erhalten mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit entweder das gesunde oder das erkrankte Chromosom und haben somit eine 50 prozentige Wahrscheinlichkeit, ebenfalls an der Chorea Huntington Krankheit zu erkranken. Da das veränderte Gen nicht auf einem Geschlechtschromosom liegt, sind Männer und Frauen gleich häufig betroffen.

In wenigen Ausnahmefällen (zwei bis fünf Prozent der Erkrankten), lässt sich keine Vererbung nachweisen. Es handelt sich dann um neuentstandene Veränderungen, sogenannten Neumutationen.

Symptome bei Chorea Huntington

Der Verlauf der Huntington Erkrankung ist sehr unterschiedlich. Am Anfang kommt es meist zu fortschreitenden psychischen Auffälligkeiten, die bis zu zehn Jahre vor den anderen Krankheitszeichen auftreten können. Außerdem treten plötzlich Bewegungsstörungen auf, die am Anfang aus unkontrollierbaren und überschießenden Bewegungen von Armen, Beinen oder anderen Körperteilen bestehen. Später kommen Grimassen schneiden sowie Schluck- und Sprachstörungen hinzu. Im Endstadium der Krankheit besteht dann eher Bewegungslosigkeit und Muskelsteifigkeit. Dazu kommt ein fortschreitender Rückgang der intellektuellen Fähigkeiten.

Man kann die Symptome in drei Gruppen einordnen:

  1. Neurologische und körperliche Symptome: Die unwillkürlichen und unkontrollierbaren Bewegungen der Chorea Huntington sind schnell, eckig und wiederholen sich. Anfangs erinnern sie an harmlose Tics wie Augenzwinkern, Mundverzerren, Kopfdrehungen oder Fingerbewegungen. Aus diesen unauffälligen Zuckungen verschlimmert sich die Erkrankung zu sogenannten choreatischen Hyperkinesen: Unwillkürliche Bewegungsstürme, die den gesamten Körper durchziehen können und bei Erregung oder Nervosität zunehmen. Hinzu kommt ein schwankender, mühsamer Gang, der an das Gangbild eines Betrunkenen erinnert und oft zu unkontrollierbaren Stürzen führt. Im weiteren Krankheitsverlauf zeigen sich massive Sprach- und Schluckprobleme, die durch den Kontrollverlust über die Zungen- und Schlundmuskulatur entstehen. Besonders bei bettlägerigen Betroffenen können die Schluckstörungen zu Erstickungsanfällen und Lungenentzündungen durch eingeatmete Nahrung führen. Ein weiteres körperliches Symptom ist ein vermindertes Schmerzempfinden, das bei vielen Erkrankten auftritt. Dies kann zu Verbrennungen und anderen Unfällen führen, da Hitze und Schmerz nicht entsprechend empfunden werden und so der natürliche Schmerzreflex nicht ausgelöst wird.

  2. Verhaltensstörungen und psychische Symptome: Es kommt zunehmend zu Verhaltensänderungen und emotionalen Veränderungen, die dazu führen können, dass die Betroffenen von ihrem Umfeld kaum wiedererkannt werden. Es können sich Psychosen entwickeln oder Depressionen, Ängste, wahnhafte Störungen, Halluzinationen, Zwangshandlungen, Aggressivität, Enthemmung und Selbstmordneigung.

  3. Rückgang der intellektuellen Fähigkeiten: Diese Problematik zeigt sich anfänglich in Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit. Nach und nach lassen Lern-, Anpassungs- und Urteilsfähigkeit nach und der intellektuelle Abbau kann in einem demenzähnlichen Syndrom enden.

Sonderformen der Huntington Erkrankung

  • juvenile Form (Westphal-Variante): Die juvenile Form kann schon bei Kleinkindern ausbrechen und zeichnet sich durch eine besonders starke Mutation des entsprechenden Gens auf Chromosom 4 aus. Die Erkrankung des Kleinkindes ist die seltenste Form der juvenilen Chorea Huntington, insgesamt beginnen weniger als zehn Prozent der Huntington-Krankheiten vor dem 20. Geburtstag. Die juvenile Form zeichnet sich durch ein deutlich schnelleres Fortschreiten der Erkrankung aus. Die mittlere Erkrankungsdauer bis zum Tod beträgt etwa acht Jahre. Auch die Symptome der juvenilen Form unterschieden sich von denen, der adulten (erwachsenen) Form. Anstelle der choreatischen Bewegungen, kommt es zu einer zunehmenden Versteifung der Extremitäten, durch einen stark erhöhten Muskeltonus. Die Betroffenen verharren minuten- bis stundenlang in schmerzhaften Fehlstellungen und es kommt zu zunehmender Bewegungsunfähigkeit. Anstelle des typischen Grimassierens, tritt bei der juvenilen Form der sogenannte Mutismus auf. Das Gesicht wirkt wie eine Maske und der Erkrankte verliert Mimik, Gestik und Sprache. Zusätzlich können Krampfanfälle auftreten. Die emotionalen und psychiatrischen Störungen der jungen Huntington-Erkrankten gleichen denen, der älteren Huntington-Betroffenen.

  • späte Form: Etwa fünfzehn Prozent der Betroffenen erkranken erst nach dem 60. Lebensjahr an Morbus Huntington. Bei ihnen ist die Mutation nicht so stark ausgeprägt und mit steigenden Erkrankungsalter sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine vererbte Form der Huntington Krankheit handelt. Man geht davon aus, dass die meisten Betroffenen die nach dem 70. Lebensjahr erkranken, eine Spontan-Neumutation auf Chromosom 4 aufweisen. Die späte Form der Erkrankung verläuft deutlich gutartiger und langsamer als die anderen Formen und muss nicht zwangsläufig die Todesursache sein.

Welche Krankheiten kommen als Differentialdiagnose infrage?

Die Anfangssymptome der Huntington Erkrankung können leicht mit vielen anderen Krankheiten verwechselt werden. Man weiß, dass bei rund zehn Prozent der Betroffenen mit Chorea Huntington, zuerst andere Erkrankungen diagnostiziert wurden. Im umgekehrten Fall erwies sich bei fünfzehn Prozent derer, bei denen anfänglich die Verdachtsdiagnose Morbus Huntigton gestellt wurde, diese Diagnose als falsch.

Folgende Erkrankungen haben ähnliche Symptome wie die Huntington Erkrankung und kommen als Differentialdiagnose infrage:

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Wie lässt dich die Diagnose sichern?

Bei Menschen, deren Eltern, Großeltern oder Geschwister an Chorea Huntington leiden, besteht bei den geringsten Symptomen die Verdachtsdiagnose, ebenfalls unter dem Gendefekt zu leiden. Um Sicherheit zu erhalten, müssen aber bei jedem Verdachtsfall gründliche, weiterreichende Untersuchungen durchgeführt werden.

Der erste Schritt der Diagnostik ist eine ausführliche Anamnese, die neben der Erfragung der bestehenden Symptome, insbesondere aus einer gründlichen Familienanamnese besteht. Im zweiten Schritt müssen verschiedene neurologische Untersuchungen durchgeführt werden. Da Hausärzte und auch Neurologen in den meisten Fällen wenig Erfahrung mit der seltenen Chorea Huntington haben, empfiehlt es sich eine Einrichtung aufzusuchen, die auf die Diagnostik und Behandlung von Huntington Erkrankungen spezialisiert ist.

Folgende Untersuchungen helfen dabei, die Diagnostik zu unterstützen und das Ausmaß der Erkrankung zu erkennen:

  • Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen einen Gewebeschwund der unterschiedlichen Gehirnareale

  • mit einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) lassen sich Zuckerstoffwechselstörungen des Gehirns nachweisen

  • durch die Untersuchung der Nervenaktivität kann die Funktion der einzelnen Sinne geprüft werden

  • Elektroenzephalogramm (EEG) stellt Funktionsstörungen des Gehirns dar

Die wichtigste und aussagekräftigste Untersuchung ist aber die DNA-Diagnostik. Den Gentest sollten alle Familienmitglieder durchführen lassen, bei denen die Gefahr besteht, Genträger zu sein. Durch die Blutuntersuchung lassen sich neben der grundsätzlichen Sicherheit das kranke Gen zu tragen, auch Aussagen über die Anzahl der veränderten Eiweißbausteine ermitteln. So können auch Genträger ermittelt werden, die ein verändertes Gen haben, aber aufgrund geringer Zahl der Veränderungen nicht erkranken werden.

Vor jedem Gentest sollte eine Beratung bei der Deutschen Huntington-Hilfe oder einer genetischen Beratungsstelle durchgeführt werden. Das Ergebnis der DNA-Analyse hat weitreichende Folgen für den Betroffenen. Nur durch fachkundige Beratung kann hier die notwendige Unterstützung erfolgen.

Kann man Chorea Huntington behandeln?

Bisher gibt es keine Möglichkeit, die Huntington Erkrankung zu heilen, das unweigerliche Fortschreiten zu verhindern oder die Ursache zu behandeln. Alle gängigen Behandlungsansätze zielen darauf ab, die einzelnen Symptome zu mindern und den Betroffenen zu ermöglichen, so lange wie möglich selbstständig zu leben und eine gute Lebensqualität zu erhalten.

Die Krankheit zeigt sich bei den einzelnen Betroffenen sehr unterschiedlich und deshalb ist es notwendig, die Chorea Huntington Therapie sehr individuell zu gestalten, regelmäßig den derzeitigen Gegebenheiten anzupassen und die Angehörigen mit in den Behandlungsplan einzubeziehen.

Medikamente

Es bestehen unterschiedliche Möglichkeiten, die Chorea Huntington-Symptome medikamentös zu behandeln. Die Auswahl der Medikamente erfordert sehr viel Erfahrung, da die Medikamente oftmals erhebliche Nebenwirkungen haben, die unter Umständen das Schlucken, Gehen oder Sprechen deutlich verschlechtern können. Folgende Medikamentengruppen stehen zur Verfügung:

  • Dopaminrezeptor-Antagonisten, Dopamin-Entspeicherer oder atypische Antipsychotika werden gegen die Überbewegungen angewendet

  • Parkinson-Medikamente helfen bei Muskelstarre

  • Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder Dopamin-Rezeptorantagonisten sind Medikamente, die bei Depressionen eingesetzt werden

  • mit atypischen Neuroleptika kann man vermehrte Reizbarkeit, Aggressivität und Psychosen kontrollieren

Experimentelle Therapien

Neben diesen symptomatischen Therapien, wird an neuen Therapiemöglichkeiten geforscht. Ein Ansatz ist es, den Verlust an Gehirnzellen durch die Transplantation von Stammzellen in das Gehirn auszugleichen. In einem anderen Therapieansatz wird versucht, das Gehirn durch die Implantation eines Hirnschrittmachers zu stimulieren und so die Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Ernährung

Aufgrund von Schluckstörungen und einem erhöhten Kalorienbedarf durch die Bewegungsunruhe, nehmen Chorea Huntington-Erkrankte schnell erheblich ab. Um einem Gewichtsverlust entgegenzuwirken, sollen Betroffenen sehr viele Kalorien zu sich nehmen, die am besten durch fünf bis sechs hochkalorische Mahlzeiten am Tag erreicht werden können. Auf Kaffee und Alkohol sollten Betroffene verzichten, da diese die Chorea Huntington-Symptome verstärken oder Medikamente abschwächen können.

Begleitende Therapien

Durch verschiedene Therapien kann die medikamentöse Behandlung ergänzt werden. Diese Begleittherapien können sehr individuell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Betroffenen zugeschnitten werden und sollten frühestmöglich begonnen werden. Folgende begleitende Therapien kommen als Unterstützung infrage:

Verlauf und Heilungschancen

Das Absterben von Gehirnarealen schreitet bis zum Tod ständig fort, die durchschnittliche Erkrankungsdauer liegt bei 10 bis 25 Jahren – und damit auch die Lebenserwartung. Je früher die Huntington Erkrankung auftritt, desto schneller und aggressiver ist ihr Verlauf.

Das Zellsterben führt im Endstadium zu einer Abnahme des Gehirnvolumens um bis zu 30 Prozent, wobei ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Anzahl der veränderten Eiweißbausteine und dem erwartbaren Krankheitsverlauf besteht. Je mehr Veränderungen, desto schneller und schwerer der Krankheitsverlauf.

Es ist bekannt, dass die Zahl der Veränderungen bei einer Vererbung der Mutation durch den Vater bei den erkrankten Nachkommen zunehmen kann und der Krankheitsverlauf somit schwerer verläuft als beim Vater selbst. Wenn das Kind die Genveränderung von der Mutter vererbt bekam, kommt es im Normalfall nicht zu einer Zunahme der Anzahl der veränderten Eiweißbausteine, weshalb die Erkrankung wie bei der Mutter verläuft. Der Grund hierfür ist nicht bekannt.

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