Williams-Beuren-Syndrom: Welche Symptome sind typisch?

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Das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung. Wie wird sie diagnostiziert? Auf welchem Chromosom entsteht WBS? Und über welche besonderen Fähigkeiten verfügen viele Betroffene?

Williams-Beuren-Syndrom: Häufig sehr musikalisch
© Getty Images/Imgorthand

Das Williams-Beuren-Syndrom löst eine Reihe von Symptomen und Besonderheiten aus, häufig zeigen Menschen mit WBS ein charakteristisches Aussehen und sind sehr musikalisch, doch auch gesundheitliche Einschränkungen und Krankheiten, wie Probleme mit dem Herzen, sind nicht selten.

Artikelinhalte im Überblick:

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Was ist das Williams-Beuren-Syndrom?

Das Williams-Beuren-Syndrom (kurz WBS; auch Williams-, Elfin-Face- oder Elfengesicht-Syndrom) ist ein seltener Gendefekt, der sich durch charakteristische Gesichtszüge, anatomische Auffälligkeiten, geistige Einschränkungen und häufig auch durch Herzfehler äußert.

Da der neuseeländische Kardiologe John Cyprian Philipps Williams und der deutsche Kinderarzt Alois Josef Beuren die Erkrankung Anfang der 1960er-Jahre als Erste beschrieben, wurde sie nach ihnen benannt. Schätzungen zufolge wird etwa einer von 7.500 bis 10.000 Säuglingen mit dem Williams-Beuren-Syndrom geboren.

Ursachen: Wie entsteht das Williams-Beuren-Syndrom?

WBS liegt ein meist spontan entstandener Defekt auf Chromosom 7 zugrunde: In Studien konnte bei rund 96 Prozent aller Patient*innen mit Williams-Beuren-Syndrom im Chromosomenabschnitt 7q11.23 ein Fehlen des Elastin-Gens nachgewiesen werden, das unter anderem für die Bildung von Bindegewebe mitverantwortlich ist und so die arteriellen Gefäßstrukturen stabilisiert.

Zusätzlich sind bei Betroffenen häufig weitere Gene auf dem entsprechenden Abschnitt verloren gegangen beziehungsweise gelöscht worden, Fachleute sprechen auch von einer Mikrodeletion oder im Falle von bei WBS vom Mikrodeletionssyndrom 7q11.23.

Während der Verlust des Elastin-Gens insbesondere für die sehr häufig mit dem Syndrom einhergehenden Herzprobleme verantwortlich gemacht wird, verursacht ein Fehlen weiterer Gene nach aktuellem Forschungsstand andere charakteristische Merkmale des WBS.

Ist das Williams-Beuren-Syndrom vererbbar?

Die Mikrodeletionen entstehen vornehmlich bei der Bildung der Keimzellen, also Spermien und Eizellen, eines Elternteils durch einen zufälligen, fehlerhaften Austausch von Chromosomenabschnitten. In diesem Fall tritt das Williams-Beuren-Syndrom spontan auf (De-Novo- oder Neu-Mutation) und es besteht kein erhöhtes Wiederholungsrisiko für weitere Nachkommen des Paares.

Weil viele an WBS erkrankte Menschen keine Kinder bekommen, sind familiäre Häufungen des Syndroms selten. Eine Vererbung ist aber sehr wohl möglich. Diese ist autosomal-dominant. Als Autosomen werden die 22 Chromosomenpaare bezeichnet, die nicht das Geschlecht bestimmen: Die Vererbung von WBS erfolgt deshalb geschlechtsunabhängig.

Ist ein Elternteil betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es den Gendefekt an die Nachkommen weitergibt, bei 50 Prozent. Bei zwei Elternteilen mit Williams-Beuren-Syndrom steigt die Wahrscheinlichkeit je nach Ausprägung (Hetero- oder Homozygotie) auf 75 bis 100 Prozent.

Symptome: Woran lässt sich das Williams-Beuren-Syndrom erkennen?

Das Williams-Beuren-Syndrom löst eine Reihe von körperlichen und kognitiven Symptomen aus. Die Symptomatik ist allerdings hochgradig variabel und tritt nicht bei allen gleichermaßen auf. Charakteristisch für WBS sind etwa die folgenden äußeren Merkmale:

  • Gesicht: längliche Kopfform, prominente Stirn, dünne Augenbrauen, polsterartig ausgeformte Oberlider (periorbitales Ödem), kurze Lidspalte (Epikanthus), blaue Iris mit sternförmigem Muster (Iris stellata), großer Mund mit vorstehender (evertierter) Unterlippe, Pausbacken, flache Nasenwurzel, flacher Nasenrücken, kolbige Nasenspitze. Im Erwachsenenalter werden die Gesichter von Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom oft schmaler, die Gesichtszüge gröber.

  • Körperbau: leichter Minderwuchs, kleiner Kopf (Mikrozephalie), langer, schmal geformter Brustkorb, hängende Schultern, verlängerter Nacken, seitliches Abknicken des kleinen Fingers (Klinodaktylie); in höherem Alter: seitliche Verbiegung der Wirbelsäule (Skoliose), einwärts gebogene Großzehe

  • Gebiss: kleine (hypoplastische) Zähne mit ausgeprägten Abständen, unterentwickelter Zahnschmelz (Schmelzhypoplasien), Neigung zu Karies und Zahnverlusten

Neben dem typischen äußeren Erscheinungsbild mit Elfengesicht treten außerdem noch häufig körperliche Einschränkungen sowie Erkrankungen auf. So besteht etwa aufgrund eines Mangels des Faserproteins Elastin eine Neigung zu kardiovaskulären Anomalien. Schätzungen zufolge leiden rund 75 Prozent aller Menschen mit WBS unter einem Herzfehler. Besonders verbreitet ist die supravalvuläre Aortenstenose (SVAS), eine angeborene Engstelle der Hauptschlagader (Aorta), die durch die Verdickung der Aortenwand entsteht. Weitere typische Herzprobleme und Gefäßerkrankungen bei WBS sind zum Beispiel periphere Koronar- und Pulmonalstenosen, Ventrikelseptumdefekte, Arteriosklerose und Bluthochdruck.

Weitere körperliche Anomalien bei WBS sind:

  • Darm: Neigung zu Ausstülpungen (Kolondivertikeln), die sich entzünden können

  • Nieren: Erhöhtes Risiko für Nierenfehlbildungen

  • Hormone: Neigung zu Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), gestörter Glukosetoleranz oder Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

  • Knochen: Neigung zu Knochenschwund (Osteopenie, Osteoporose)

  • Augen: etwa 40 Prozent aller Kinder mit WBS schielen beziehungsweise leiden unter Kurz- oder Weitsichtigkeit; eingeschränktes räumliches Sehvermögen

  • Ohren: überdurchschnittliche Geräuschempfindlichkeit, Hörstörungen, häufige Mittelohrentzündungen (Otitis media)

  • Muskulatur: schwacher Muskeltonus

  • Stimmbänder: anatomisch bedingt tiefe, heisere oder belegte Stimme

  • Obere Atemwege: überdurchschnittlich hohe Infektanfälligkeit

Zudem kommen noch alters- und geschlechtspezifische Besonderheiten und Symptome hinzu:

  • Bei Säuglingen: Fütterungs-, Verdauungs- und Schlafprobleme

  • Bei (Klein-)Kindern: (vorübergehender) Kalziumüberschuss im Blut (Infantile Hyperkalzämie), dadurch erhöhte Gefahr der Ablagerung von Kalziumsalzen im Nierengewebe (Nephrokalzinose); Entwicklungsverzögerungen (vor allem in Bezug auf Laufen und Sprechen)

  • Bei Mädchen: vorgezogener Eintritt in die Pubertät (vor dem achten Lebensjahr)

  • Bei Erwachsenen: frühes Ergrauen der Haare, vorzeitige Hautalterung.

Welche sozialen und mentalen Besonderheiten gehen mit WBS einher?

Während Kleinkinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom als eher scheu beschrieben werden, gelten betroffene ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene als ausgesprochen kontaktfreudig, begeisterungsfähig, freundlich und empathisch – was von Fremden, die nicht mit der Diagnose vertraut sind, manchmal als distanzlos empfunden wird.

Die meisten Menschen mit WBS weisen eine leichte bis mittelschwere geistige Behinderung auf, es liegt meist eine Entwicklungsstörung (Retardierung) vor. Der durchschnittliche Intelligenzquotient (IQ) liegt Studien zufolge bei 56. Allerdings sind besondere Begabungen auf bestimmten Gebieten (Inselbegabungen) möglich: Betroffene verfügen häufig über ein sehr gutes sprachliches Ausdrucksvermögen und Gedächtnis; einige lernen ungewöhnlich früh lesen (Hyperlexie). Menschen mit dem Williams-Beuren-Syndrom gelten als musikalisch begabt: Ein absolutes Gehör kommt bei ihnen häufiger vor als in der Durchschnittsbevölkerung und ihr Rhythmusgefühl ist oft stark ausgeprägt.

Die Fähigkeit, räumliche Relationen zu erfassen, kann hingegen eingeschränkt sein. Hyperaktivität, Unruhe und Konzentrationsprobleme und somit auch das Krankheitsbild ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) sind verbreitet. Es gibt eine Neigung zu Depressionen, Phobien und Panikattacken.

Während schwierige soziale Situationen (beispielsweise aggressive Personen in nächster Umgebung) für WBS-Betroffene wenig angsteinflößend sind, können gefährliche Ereignisse ohne Beteiligung von Menschen (zum Beispiel Brände) bei ihnen enorme Panik auslösen. Diese Diskrepanz zwischen sozialer und nicht-sozialer Angst wird auf eine strukturelle Veränderung eines Teils des limbischen Systems im Gehirn – der Amygdala – zurückgeführt.

Diagnose: Wie wird das Williams-Beuren-Syndrom festgestellt?

In den ersten Lebensmonaten und -jahren eines Kindes können bestimmte äußere Merkmale, geistige oder motorische Einschränkungen, Verhaltensauffälligkeiten sowie organische Fehlbildungen den Verdacht auf das Williams-Beuren-Syndrom nahelegen. Besonders häufig führt der Weg zur WBS-Diagnose über einen angeborenen Herzfehler. Insbesondere eine einzeln auftretende (isolierte) supravalvuläre Aortenstenose (SVAS) kann ein entscheidender Hinweis auf das Syndrom sein. Auch eine Hyperkalzämie im Kleinkindalter gilt als wichtiger Anhaltspunkt.

In entsprechenden Fällen kommt es zu einer genaueren Diagnostik durch Fachärzt*innen verschiedener Disziplinen (beispielsweise der Inneren Medizin, Kardiologie und Neurologie) und anschließend zur Einleitung genetischer Untersuchungen. Als besonders zuverlässig gilt die Kombination einer konventionellen Chromosomenanalyse mit einem zytogenetischen Schnelltest, der sogenannten chromosomalen Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH-Analyse) des Elastin-Gens. Bei dem Verfahren markiert ein Spezialfarbstoff in der Blutprobe ausschließlich vollständige Chromosomen, sodass Gen-Deletionen auffallen.

Der FISH-Test kann auch vorgeburtlich (pränataldiagnostisch) durchgeführt werden. Aufgrund der mit einer dafür notwendigen Fruchtwasserentnahme verbundenen Risiken für das Ungeborene und der Seltenheit von WBS wird er jedoch nicht routinemäßig vorgenommen. Manchmal können in der Schwangerschaft bereits Wachstumsstörungen bei Föten mit WBS beobachtet werden.

Da Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom aufgrund ihrer offenen Art und guten verbalen Fähigkeiten in Kindergarten beziehungsweise Schule häufig überschätzt und somit überfordert oder an wichtigen Stellen nicht ausreichend gefördert werden, ist eine frühzeitige Diagnose von großem Vorteil.

Therapie: Wie wird das Williams-Beuren-Syndrom behandelt?

Die medizinische Versorgung von Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom wird in der Regel durch ein multidisziplinäres Team aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen wie der Kardiologie, Kinder-, Hals-Nasen-Ohren- und Zahnheilkunde sowie je nach Erfordernis weiteren Spezialist*innen und Therapeut*innen gewährleistet.

Die Behandlung erfolgt in Abhängigkeit von den jeweiligen Symptomen: Herzfehler wie die supravalvuläre Aortenstenose müssen oft operativ behoben werden, andere organische Probleme wie beispielsweise eine Hyperkalzämie machen medikamentöse Therapien sowie spezielle Diäten notwendig.

Entwicklungsverzögerungen, Lernschwierigkeiten sowie sprachliche und motorische Defizite können zum Beispiel mithilfe von

abgemildert werden. Für Vorschulkinder ist die Anbindung an eine spezialisierte Frühförderstelle sinnvoll.

Bislang gibt es kein ausreichend getestetes Medikament, das den Elastinstoffwechsel bei Kindern mit WBS normalisieren und damit Gefäßerkrankungen vorbeugen kann. Versuche an Tieren gaben Hinweise darauf, dass der Arzneistoff Minoxidil helfen könnte. Dabei handelt es sich ursprünglich um einen Blutdrucksenker mit stark gefäßerweiternder Wirkung, der in lokaler Anwendung auch zur Behandlung erblich bedingten Haarausfalls eingesetzt wird.

Eine im Mai 2019 veröffentlichte, Placebo-kontrollierte Studie zum Einsatz von Minoxidil bei WBS-Kindern kam jedoch aufgrund einer geringen Versuchspersonenzahl und methodischen Schwierigkeiten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zudem tritt als Nebenwirkung der Behandlung mit Minoxidil eine übermäßige Körperbehaarung (Hypertrichosis) auf.

Verlauf und Prognose: Leben mit dem Williams-Beuren-Syndrom

Obwohl die Diagnose des Williams-Beuren-Syndroms aufgrund charakteristischer Fehlbildungen und Beeinträchtigungen in der Regel mit weitreichenden gesundheitlichen Komplikationen verbunden ist, haben die meisten Betroffenen heute dank vielfältiger medizinischer Möglichkeiten eine (annähernd) normale Lebenserwartung. Die Mehrzahl ist aufgrund mentaler und körperlicher Einschränkungen auf lebenslange Unterstützung angewiesen.

Das kardiovaskuläre System von WBS-Patient*innen bedarf einer regelmäßigen Kontrolle: Bluthochdruck und arterielle Stenosen können sich im Laufe der Jahre verstärken. Zudem sind Kalziumgehalt in Serum und Urin regelmäßig zu testen, damit zu hohe Werte rechtzeitig behandelt werden können.

Gefährliche Narkose bei Williams-Beuren-Syndrom

Ein hoher Anteil der Betroffenen muss mehrfach operiert werden. Dies ist insofern problematisch, als in der Fachliteratur wiederholt Todesfälle im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen beziehungsweise Narkose bei Menschen mit dem Williams-Beuren-Syndrom beschrieben werden.

Der Bundesverband  Williams-Beuren-Syndrom e. V. warnt, Betroffene könnten im Rahmen einer Sedierung oder Narkose "jederzeit ohne Vorboten in größte Schwierigkeiten kommen, die nur von Experten mit dieser syndromspezifischen Erfahrung zu bewältigen seien". Eine Sedierung und Narkose bei vorliegendem WBS dürfe deshalb ausschließlich unter „lückenloser Überwachung und entsprechender personeller Ausstattung und Rettungsmöglichkeit“ durchgeführt werden.

Prävention: Lässt sich dem Williams-Beuren-Syndrom vorbeugen?

Weil die dem Syndrom zugrundeliegende genetische Deletion entweder vererbt oder durch eine spontane Mutation ausgelöst wird, besteht keine Präventionsmöglichkeit. Eltern eines Kindes mit dem Chromosomendefekt können sich genetisch untersuchen lassen. Sind sie selbst nicht betroffen, besteht für weitere Nachkommen kein erhöhtes Risiko eines Williams-Beuren-Syndroms.

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