Formen der Flugangst und wie sie behandelt werden
Gegen Flugangst helfen nicht nur Tabletten wie Beruhigungsmittel, sondern auch eine Verhaltenstherapie beim Psychologen oder Psychiater sowie spezielle Seminare, die zum Beispiel von Fluggesellschaften angeboten werden. Hier lesen Sie hilfreiche Tipps, wie Sie Ihre Flugangst mit professioneller Hilfe überwinden können.
Flugangst ist eine der häufigsten Angststörungen, welche als eigenständige Krankheit anerkannt sind. Quält bereits Tage vor dem Flug ein lähmendes Unwohlsein und wird nach Ausreden gesucht, um den Termin zu umgehen, ist fachliche Hilfe nötig. Phobie-Experte Professor Iver Hand aus Hamburg unterscheidet dabei diese sechs Flugangst-Formen, nach denen sich auch die jeweilige Verhaltenstherapie richtet:
Die sechs Formen von Flugangst
1. Konditionierte Flugangst nach einer brenzligen Situation
Herbert B. kann das Gefühl einfach nicht vergessen: Als damals der Flieger in das Luftloch fiel, hatte er innerlich mit seinem Leben abgeschlossen. Seitdem spürt er jedes Mal diese Übelkeit, die ihn matt macht, ihn verkrampfen lässt, bis endlich das Flugzeug wieder auf der Landebahn aufsetzt.
Konditionierte oder erlernte Flugangst nennt Professor Hand dieses Phänomen. Ausgelöst durch Angst einflößende Flugerlebnisse: Ein Gewitter oder ein Fast-Crash beim Anflug auf den Airport. Beißen die einen noch die Zähne zusammen und zwingen sich immer wieder ins Flugzeug, "packen andere das einfach nicht", weiß der Hamburger Seelenkenner. Sie werden in Erwartung eines Unglücks vor dem Geschäftstermin krank.
2. Flugangst aufgrund aktueller Ereignisse
Arnim N. mag schon gar nicht mehr die Nachrichten einschalten. Bestimmt ist wieder irgendwo ein Flugzeug abgestürzt und er muss morgen von Frankfurt nach Saigon fliegen. Er hört innerlich schon den Nachrichtensprecher: "... ist gestern die Maschine aus Frankfurt kurz vor dem Anflug auf Saigon abgestürzt. Keiner der Passagiere hat überlebt."
Die Flugangst vor den Gefahren des Fliegens nennt Professor Iver Hand diese Phobie. Der Psychiater, der sich bevorzugt der Materie phobischer Angststörungen bei Geschäftsleuten widmet, weiß um die fast magische Wirkung von Unglücksnachrichten auf diesen Flugangst-Typus. Kurz vor Beginn des Flugs steigen die Ängste vor einem bevorstehenden Unglück massiv an.
3. Entmündigungssyndrom löst Flugangst aus
Sieht denn der Mann die andere Maschine nicht, die da zum Start ansetzt? Um Gottes Willen, schaut denn niemand dem Piloten auf die Finger? Daniel B. würde am liebsten das Kapitänscockpit stürmen und die Regie übernehmen. Natürlich ist auch dieser Flug wieder völlig ohne Zwischenfälle verlaufen, der Kapitän hat das Flugzeug und seine Passagiere routiniert ans Ziel gebracht.
Daniel B. aber erleidet bei jedem neuen Flug dieselbe Flugangst: Er traut dem Menschen im Cockpit nicht, er fühlt sich ausgeliefert, er kann nicht selbst das Steuer in die Hand nehmen. Gerade Menschen, die es gewohnt sind, autonom zu handeln, anderen Anweisungen zu geben, ertragen die hilflose Flugsituation nur schwer. Sie fühlen sich, erklärt Professor Hand, bevormundet, ja sogar vorübergehend entmündigt. Deshalb sprechen Experten hier vom Entmündigungssyndrom.
4. Klaustrophobie als Flugangst
Schon beim Gedanken an die engen Gänge und das Eingesperrtsein im schmalen Sitz bricht Martin M. der Schweiß aus, spürt er dieses verdammte Zittern, diese Flugangst. Er weiß schon jetzt: Der morgige knapp einstündige Flug nach Köln wird wieder ein Martyrium. Er hofft nur, dass sein Nachbar von seiner Angst nichts mitbekommt.
Klaustrophobie heißt dieses Phänomen, das unter anderem zu Flugangst führen kann. Es peinigt Menschen in allen geschlossenen Räumen, in Fahrstühlen, in überfüllten Kaufhäusern. Begleitet wird dieses Gefühl von einer panikartigen Angst, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, zum Beispiel im Flugzeug einen Schreikrampf zu bekommen oder Amok durch den schmalen Gang zu laufen.
Die Klaustrophobie wird noch verschärft durch zwei weitere Angstvarianten: Die Scham, ein Fremder könne die Flugangst bemerken, bezeichnen Fachleute als Soziophobie. Xenophobie ist die Grundangst, mit fremden Menschen konfrontiert zu sein, ihnen nicht ausweichen zu können.
5. Herztod-Phobie oder andere Todesängste im Flieger
Ludger L. sieht sich schon auf der Bahre liegen. Gerade deckt ihm eine der Stewardessen das weiße Tuch über das Gesicht. Ludger L. hat in seiner Phantasie einen Herzinfarkt auf dem Flug Madrid - Berlin nicht überlebt. Jedes Mal, bevor der Geschäftsmann einen Flug antreten muss, peinigen ihn solche Angstvorstellungen eines Todes im Flieger mangels sofortiger ärztlicher Hilfe.
Herztod-Phobie nennt der Psychologieprofessor Iver Hand dies Phänomen, das nicht nur auf das Flugzeug und auch nicht auf die Herzattacke beschränkt ist. Denkbar ist auch die Flugangst mit einem Schlaganfall: Der Betroffene sucht auch in einer fremden Stadt auf dem Stadtplan sofort die nahegelegenen Krankenhäuser heraus. Menschen mit einer Herztod-Phobie, weiß Hand, "horchen ständig nach innen".
6. Auch Pseudo-Flugangst ist möglich
Dreimal die Woche fliegt Edgar D. nach Düsseldorf, ins Haupthaus seines Unternehmens und bei jedem Flug breitet sich das dumpfe, dunkle Gefühl in seinem Inneren aus. Edgar D. hält das beklemmende Empfinden für eine Flugangst. In Wirklichkeit hat er vor etwas ganz anderem Angst: Durch die häufigen Trennungen von seiner Frau befürchtet er ein Scheitern seiner Ehe. Diese wirkliche Angst aber entdeckt er erst in der Therapie.
Behandlung: Verhaltenstherapie und mehr gegen Flugangst
1. Wie konditionierte Flugangst behandelt wird
Herbert B. leidet unter konditionierter Flugangst. Er sollte einen Verhaltenstherapeuten aufsuchen. Hier kann er im Gespräch die angstauslösende Situation in seiner Fantasie immer wieder durchleben und nachverarbeiten, solange bis das Trauma sich aufgelöst hat. Manchmal, weiß Prof. Iver Hand, reichen schon zwei Sitzungen. Auch hypnotherapeutische Techniken können sinnvoll sein, wenn die Erinnerung an das Schockerlebnis sehr stark verdrängt wurde.
2. Angst vor den Gefahren des Fliegens überwinden
Arnim N. sollte einen Kurs bei einer Fluggesellschaft belegen. Der Angst vor den Gefahren des Fliegens, ausgelöst durch Unfallnachrichten, ist am sinnvollsten mit Informationen beizukommen. Die Lufthansa etwa bietet Kurse an, in denen die Absolventen in einem Flugsimulator die Flugsituation durchleben können.
3. So lässt sich das Entmündigungssyndrom therapieren
Auch bei Menschen, die unter dem Entmündigungssyndrom leiden, kann die Verhaltenstherapie helfen. Daniel B. klärt am sinnvollsten im Gespräch mit einem Therapeuten die Angst auslösende Situation. Er sollte überlegen, ob es ähnliche Situationen gibt, in denen er sich ausgeliefert fühlt. In einer tiefer gehenden Therapie durchforstet er die Stationen seines Lebens, um einem Auslöser für seine Angst auf die Spur zu kommen. Durch den Dialog mit dem Therapeuten findet der Patient selbst die Antwort.
4. Wie Sie die Klaustrophobie im Flugzeug besiegen
Wer an Klaustrophobie leidet wie Martin M., findet Hilfe in einer situationsbezogenen Therapie. Der Betroffene setzt sich in Begleitung des Therapeuten Angst erregenden Situationen aus, zum Beispiel U-Bahn-Fahrten mitten durch die Stadt. Diese Angst erregenden Situationen verlieren so ihre Bedrohlichkeit.
5. Behandlung der Herztod-Phobie
Ludger L. muß die Angst vor der Angst verlieren. Es gibt spezielle Therapien für Herztodphobiker. Im Gespräch klären Arzt und Patient die Ursache für das überzogene Sicherheitsbedürfnis. In praktischen Übungen mit dem Therapeuten erlebt Ludger L. Situationen (eine Fahrt über Land), in der die Angst vor dem plötzlichen Herztod hochkriecht. Gelangt er mehrmals wohlbehalten nach Hause, relativiert sich allmählich die Angst.
6. Der Pseudo-Flugangst entkommen
Für Edgar D. ist nicht das Fliegen das Problem. Er ist ein Pseudo-Flugphobiker. Am besten findet er im Gespräch mit einem Verhaltenstherapeuten zunächst einmal die angstauslösende Situation heraus. Diese kann beispielsweise in einem vermeintlichen Mobbing der Kollegen begründet sein oder in einer häuslichen Krise. Ist diese Situation verarbeitet, ist meist auch die Flugangst verschwunden.
Panikmanagement gegen Flugangst eignet sich für alle Patienten
Für alle sechs Angsttypen praktikabel ist das Panikmanagement-Training in drei Phasen:
- Phase: Der Patient lässt seine Angst zu, kämpft nicht gegen sie an.
- Phase: Die Angst wird weder beschönigt ("eigentlich ist das gar nicht so schlimm") noch dramatisiert ("meine Angst frisst mich auf").
- Phase: Der Patient beobachtet die Entwicklung seiner Angst. Er registriert die Phasen und lernt so, damit umzugehen.
Bei acht von zehn Patienten, weiß Professor Iver Hand, die in der akuten Situation dieses Training praktizieren, verschwindet die Angst nach zwei bis 20 Minuten. Um der Panik bereits im Vorfeld vorzubeugen, empfehlen sich Entspannungsmethoden wie Autogenes Training, tiefes und bewusstes Atmen oder Muskelan- und -entspannung nach Jacobson. Diese sind allerdings in der akuten Panikattacke nicht mehr hilfreich.
Hilfreiche Adressen für Flugangst-Patienten
Phobien und Angstzustände sind als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungs-Ordnung (RVO) anerkannt. Die Krankenkassen führen Adresslisten mit Namen von behandelnden Therapeuten. Universitätskliniken bieten Angstambulanzen an, in denen akute Angstzustände therapiert werden. Auch die Lufthansa bietet Informationskurse an, um die Flugangst abzubauen.
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