Kinesiotape: So können Sie Schmerzen eine kleben
Nicht nur Profifußballer sieht man immer öfter mit bunten Pflasterstreifen an Oberschenkel, Knie, Rücken oder Wade. Kinesiotapes sind längst Alltag in Physiotherapie-Praxen. Doch wie wirkt Kinesiotaping überhaupt, bei welchen Beschwerden helfen die Bänder? Kann man sich damit auch selbst behandeln? Der große Lifeline-Ratgeber.
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- Kinesiotapes können gegen Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich eingesetzt werden.
- © iStock.com / gsermek
Sie sollen bei Verspannungen helfen, die gestörte Beweglichkeit der Gelenke verbessern, Schwellungen und Entzündungen nach Verletzungen abschwellen lassen, sogar bei Migräne oder Tinnitus helfen: Seit der Jahrtausendwende haben Kinesiotapes (kurz für Kinesiologie-Tapes) ihren Siegeszug als alternative Therapie angetreten. Zunächst sah man die bunten Pflasterstreifen bei Sportlern in den USA. 2002 lief die japanische Mannschaft bei der Fußball-WM getapt aufs Feld. Nachfolgende Großereignisse wie Olympia oder Weltmeisterschaften sorgten für weitere Aufmerksamkeit.
Dabei sind die farbenfrohen Klebebänder schon über 30 Jahre alt: Das Taping wurde in den 1970er Jahren von dem japanischen Arzt und Chiropraktiker Dr. Kenzo Kase entwickelt. Er suchte nach einem Weg, Schmerzen auf natürliche Weise zu lindern. Seine ersten Patienten waren lange Zeit Sumo-Ringer.
So wirkt das Kinesiotape
Unter Kinesio-Taping versteht man eine Therapie, bei der elastische, auf der Haut haftende Streifen mehr oder weniger gedehnt auf die Haut geklebt werden. Anders als ein starres Tape, welches in der Sportmedizin zur Ruhigstellung und Stabilisierung eingesetzt wird, bleibt ein Kinesiotape oder auch Physiotape elastisch und flexibel. Und das muss auch so sein. Denn der Tapeverband entfaltet seine Wirkung erst bei Bewegung.
Das auf die Haut aufgeklebte Tape massiert dabei die darunterliegenden Gewebeschichten, beeinflusst Schmerzsensoren, stimuliert Muskelkontraktionen, Lymphfluss und Gelenkfunktion. Nervenzellen werden angeregt und die Durchblutung in dem betreffenden Bereich gefördert. Die Wirkung des Kinesio-Tapings ist wissenschaftlich nicht eindeutig bewiesen, jedoch schwören viele Sportler, Therapeuten und Sportmediziner auf die bunten Pflaster und setzen sie in Kombination mit anderen therapeutischen Maßnahmen ein.
Verschiedene Farben von Kinesiotapes
Das Auffällige an den Tapes sind die unterschiedlichen Farben: Es gibt die Klebebänder in pink, rot, türkis, violett, schwarz, grün oder orange. Auch hautfarbene oder weiße Tapes kann man sich anlegen lassen. Manche Therapeuten, die das Kinesiotaping anwenden, wählen die Farbe der Bänder passend für die zu behandelnden Beschwerden aus: So sollen nach der Farblehre rote und pinke Farbtöne vor allem aktivieren und Wärme erzeugen, blaue Nuancen dagegen entspannen und Kühlung verschaffen. Andere Behandler wiederum messen den Farben keine therapeutische Bedeutung bei.
Der Erfinder Kenzo Kase arbeitete zunächst mit hautfarbenen Streifen, bin ihm eine Patientin gestand, dass sie die Farbe "krank" mache. Später wünschten sich Sportler von ihm schwarze Tapes, die "stärker" aussahen als pinke oder blaue, erzählte er in einem Interview. Viele Therapeuten empfehlen ihren Patienten, einfach die Farbe zu wählen, die sie am liebsten mögen und mit der sie sich am wohlsten fühlen.
Bei welchen Beschwerden hilft der Tapeverband?
Die Anwendungsbereiche für das Kinesiotaping sind breit gefächert. Die Tapes können immer dann eingesetzt werden, wenn bei Schmerzen Muskeln, Sehnen und Bänder im Spiel sind. Typische Symptome sind zum Beispiel:
Achillessehnenbeschwerden
Probleme mit dem Knie durch Überlastung oder altersbedingte Abnutzung
Sprunggelenksbeschwerden, zum Beispiel nach dem Umknicken
Rückenschmerzen der unterschiedlichsten Art, zum Beispiel an den Lendenwirbeln, der Brustwirbelsäule, zwischen den Schulterblättern, Hexenschuss (Lumbago)
Nackenverspannungen
Schmerzen in Armen, Hand und Fingern, wie zum Beispiel am Daumengrundgelenk, bei Tennisarm, Sehnenscheidenentzündung und Karpaltunnelsyndrom
Bei Menstruationsbeschwerden, Migräne, verstopften Nasennebenhöhlen, Tinnitus oder Kieferschmerzen kommen die Physiotapes ebenfalls zum Einsatz. Leistungs- und Hobbysportler lassen sich zur Trainingsunterstützung oder vor Wettkämpfen vorbeugend tapen, um das Risiko für Verletzungen oder Krämpfe zu vermindern. Tierärzte setzendie Bänder zur Behandlung ihrer vierbeinigen Patienten ein.
Auch bei wiederkehrenden Alltagsbeschwerden wie Verspannungen, Muskelschmerzen, Muskelkater oder Blutergüssen kan ein elastischer Tapeverband dazu beitragen, schnell wieder beschwerdefrei zu werden.
Lifeline/Wochit
Wie die Tapes angewendet werden
Die Streifen bestehen aus Baumwoll-Gewebe und sind mit einem Acrylat-Kleber beschichtet, der auch bei einer Pflasterallergie meist gut vertragen wird. Der Kleber sorgt dafür, dass der Tapeverband fest auf der Haut haftet und diese trotzdem atmen kann. Die klebende Seite ist mit einem Schutzpapier versehen, die kurz vor dem Anlegen des Bandes eingerissen und abgerollt wird.
Die Streifen werden einzeln oder zu mehreren auf die zu behandelnden Körperareale oder Gliedmaßen aufgeklebt. Dabei folgen sie in der Regel den Muskelstrukturen, Bändern oder Nervensträngen. Beim Anlegen werden die Streifen gedehnt. Wie stark, ist abhängig von den Beschwerden. Oft behandelt der Therapeut weiter entfernte Stellen des Körpers zusätzlich mit einzelnen Pflastern.
An geschwollenen Gelenken oder großen Blutergüssen werden die Streifen netzförmig aufgebracht, um den Lymphabfluss zu unterstützen, dafür gibt es auch spezielle Gittertapes.
Einzelne Schmerzbereiche, wie beispielsweise bei einem Hexenschuss, können sternförmig mit Tapestreifen beklebt werden. Auch Kombinationen mit manueller Therapie, Akupunktur und Massagen sind möglich.
Meist spürt der Patient bereits wenige Minuten nach dem Anlegen ein Prickeln und Kribbeln unter der Haut und eine Linderung der Beschwerden. Bei chronischen Schmerzen dauert es natürlich länger, bis dieser Effekt eintritt. Die Tapes können bis zu zehn Tage auf der Haut bleiben, es kann ganz normal geduscht oder gebadet werden, Saunabesuche und Sport sind kein Problem. Ein getapter Rücken übersteht sogar eine Massage.
Wer behandelt mit Kinesiotaping und was kostet es?
Kinesiotaping wird von vielen Physiotherapeuten angeboten, die sich das Wissen über die Behandlung und die richtige Handhabung der Bänder in Kursen angeeignet haben sollten. Die Kosten liegen je nach Größe und Dauer des Tapeverbandes zwischen fünf und 20 Euro pro Sitzung. Das Tape-Material wird in der Regel in Fünf-Meter-Rollen in Apotheken oder im Onlineversand verkauft, die gebräuchlichste Breite sind fünf Zentimeter. Es gibt auch bereits vorgeschnittene Tape-Abschnitte. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten der Behandlung nicht, private nur manchmal.
Selbstbehandlung mit Kinesiotapes
Viele Patienten, die das Kinesiotaping in der Arztpraxis oder beim Physiotherapeuten kennengelernt und sich von der Wirkung überzeugt haben, wollen es auch in Eigenregie daheim anwenden. Wer entsprechendes anatomisches Grundwissen hat und seinen Körper gut kennt, kann sich mit Tapes gut selbst behandeln.
Die verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung und das korrekte Anlegen der Tapes sollte man sich jedoch zumindest zeigen lassen, diverse Tape-Hersteller bieten Kurse für Laien an. Für viele Körperregionen benötigt man zudem die Hilfe einer anderen Person. Tapes für die Anwendung daheim gibt es unter anderem im Online-Versandhandel, fünf Meter kosten um die zehn Euro.
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Ausführlich wird die Handhabung des Materials und das richtige Anbringen der Streifen erklärt. Eine Übersicht der häufigsten Beschwerden führt zur passenden Taping-Auswahl. Die zehn häufigsten Tapeanlagen werden zusätzlich im Video auf einer beigelegten DVD demonstriert.
(John Langendoen/Karin Sertel – Das Taping-Selbsthilfe-Buch, € 29,99. Trias-Verlag Stuttgart, 2012.)
Anleitung für das Anlegen und Entfernen von Kinesiotapes:
- Die Haut sollte sauber, trocken und frei von Cremeresten sein, damit der Kleber gut haftet. Stark behaarte Stellen sollten vorher rasiert werden.
- Die Ecken der Tape-Streifen müssen vor dem Anbringen abgerundet werden. So vermeidet man, dass sich die Ecken schnell wieder lösen.
- Nach dem Anlegen müssen die Streifen gut festgestrichen werden, erst durch die Reibungswärme haftet der Kleber. Falten sollten vermieden werden.
- An empfindlichen Hautstellen wie der Kniekehle oder an der Innenseite des Arms die Streifen nur ungedehnt anbringen. Vorsicht ist auch bei Tapeanlagen an Hals, Fingern oder Zehen geboten, sie dürfen nicht einschnüren.
- Wenn die Haut nach dem Anbringen unter der beklebten Stelle juckt, muss das Tape entfernt werden – dann reagiert die Haut allergisch auf die Kleber-Bestandteile.
- In den ersten Tagen entfaltet das Kinesiotape seine größte Wirkung, danach verliert es nach und nach an Elastizität. Nach spätestens einer Woche sollte es entfernt werden. Das Tape lässt sich am besten ablösen, wenn es vorher nass gemacht wird. Die Streifen sollten nicht ruckartig, sondern langsam Stück für Stück gelöst werden, um die Haut nicht zu sehr zu strapazieren.
Gegenanzeigen: Wann man sich besser nicht tapen sollte
Kinesio-Taping ist kein Allheilmittel. Es kann zwar bestimmte Beschwerden lindern. Bei einigen Erkrankungen, Symptomen und Lebensumständen sollte es jedoch nicht zum Einsatz kommen. Dazu gehören offene Wunden, empfindliche Haut oder ein sehr schlaffes Bindegewebe.
Bei übergewichtigen Personen ist zudem das Fettgewebe sehr ausgeprägt, oft bleibt die Wirkung des Tapeverbandes in diesen Fällen aus. Auch bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Ekzemen oder Schuppenflechte (Psoriasis) und allergischen Hautreaktionen sollte nicht geklebt werden.
Während der Schwangerschaft können Tapes zwar Rückenbeschwerden sehr gut lindern, im ersten Drittel der Schwangerschaft, bei Risikoschwangerschaften und vorzeitigen Wehen verzichtet man vorsichtshalber aber besser darauf. Weitere Kontraindikationen des Tapings sind unklare Beschwerden mit Fieber, Venenthrombosen, Krampfadern, Krebserkrankungen und unversorgte Brüche.
Neu aufgetretene Schmerzen immer ärztlich abklären lassen
Kinesiotaping ist generell als begleitende Therapiemaßnahme und nicht als Ersatz für den Arztbesuch gedacht. Wenn bisher unbekannte Schmerzen oder Beschwerden auftreten, sollte ein Arzt immer zuerst die Ursachen herausfinden und eine entsprechende Behandlung einleiten.
Sie sollten auch nicht dauerhaft zur Prophylaxe angewandt werden. Durch den Dauergebrauch der Physiotapes könnten sich Muskeln, Sehnen und Gelenke an die ausgelösten Reize gewöhnen. Eine Rückkehr zu natürlichen Bewegungsmustern wird dadurch erschwert, es drohen Folgeschäden.
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