Schwere Gewebeschäden möglich

Kompartmentsyndrom: Gefährlicher Druck im Muskelgewebe

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Ein Kompartmentsyndrom entsteht durch verletzungs- oder überlastungsbedingte Einblutungen oder Schwellungen in den Muskeln, kann schwere Gewebeschäden verursachen und sogar tödlich sein. Was ist ein Kompartmentsyndrom? Woran erkennen Betroffene die Erkrankung? Und wie lange dauert die Heilung?

kompartmentsyndrom
© Getty Images/LightFieldStudios

Im Überblick:

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Was ist ein Kompartmentsyndrom?

Ein Kompartmentsyndrom (international: Compartment Syndrome), auch Muskelkompressions- oder Logensyndrom genannt, ist ein sehr schmerzhafter und oft gefährlicher Druckanstieg im Muskelgewebe, der durch verletzungs- oder überlastungsbedingte Einblutungen oder Schwellungen entstehen kann. Am häufigsten tritt die Erkrankung im Unterschenkel und Unterarm auf, doch auch Oberschenkel, Oberarm, Hand, Fuß, Gesäß und weitere Körperregionen können betroffen sein. Hochrechnungen zufolge erkranken jährlich mehr als 5.600 Menschen in Deutschland – darunter besonders viele junge, männliche Sportler – an einem Kompartmentsyndrom.

Wie entsteht ein Kompartmentsyndrom?

Als Kompartiment, Kompartment oder Loge wird in der Medizin eine Gruppe von Muskeln bezeichnet, die zusammen mit Nerven durch eine Bindegewebsschicht (Faszie) von der Umgebung getrennt sind und in der Regel eine gemeinsame Blutversorgung haben. Die meisten Muskelkompartimente befinden sich an den Armen und Beinen (Extremitäten). Faszien sind nur begrenzt dehnbar. Dies erklärt, warum der Druck in einem Kompartiment durch Blutergüsse oder anders bedingte Schwellungen ansteigen kann.

Unterschieden werden die akute und die chronische Form des Kompartmentsyndroms. Erstere wird in etwa 70 Prozent aller Fälle durch eine schwere Verletzung (Trauma; zum Beispiel durch einen Sport- oder Autounfall) ausgelöst und ist ein medizinischer Notfall: Wird durch die Druckzunahme die Durchblutung des Muskelgewebes längere Zeit beeinträchtigt, sind irreversible neuromuskuläre Schäden möglich. Kommt es zum Absterben größerer Gewebeteile (Nekrotisierung), sind die jeweiligen Extremitäten in Gefahr. Treten zusätzlich Entzündungen auf, kann die Erkrankung lebensbedrohlich werden.

Mögliche Ursachen eines akuten Kompartmentsyndroms (Acute Compartment Syndrome, kurz ACS) sind zum Beispiel:

  • Knochenbrüche (Frakturen; bei Unterschenkelfrakturen gilt das Kompartmentsyndrom nach der tiefen Beinvenenthrombose als zweithäufigste Komplikation

  • schwere Muskelprellungen

  • schwere Quetschungen

  • Verbrennungen

  • Erfrierungen

  • stark einschnürende Gipse, zu enge Verbände, Schienen oder Ähnliches

  • die Einnahme bestimmter Dopingsubstanzen (anabole Steroide)

  • ein nach einer Blockade wiederhergestellter Blutfluss (zum Beispiel nach einer Operation oder wenn ein Blutgefäß durch eine ungünstige Schlafposition abgeklemmt war und der Betroffene dies aufgrund neurologischer Beeinträchtigungen, Alkohol- oder Drogeneinfluss nicht registriert hat)

  • arterielle Thrombosen und Embolien (selten)

Ursache des deutlich harmloseren chronischen Kompartmentsyndroms (Chronic Compartment Syndrome, kurz CCS) sind in der Regel extreme körperliche Belastungen, durch die Muskeln anschwellen. Kritisch sind hier vor allem Sportarten mit sich engmaschig wiederholenden Bewegungen wie beispielsweise Laufen, Radfahren oder Schwimmen. Auch bei Bodybuildern, die ihre Muskeln zu schnell auftrainieren, kann ein CCS auftreten.

Eine Sonderstellung nimmt das abdominelle Kompartmentsyndrom ein, bei dem es zum Beispiel durch Bauchverletzungen, umfangreiche Bauchoperationen oder einen Darmverschluss zu einer Druckerhöhung im Bauchraum kommt.

Symptome des Kompartmentsyndroms

Mehr als zwei Drittel aller akuten Kompartmentsyndrome ereignen sich an Unterschenkel, Unterarm oder Fuß. Sie äußern sich in der Regel durch stark zunehmende Schmerzen, die heftiger sind, als die sichtbare Verletzung vermuten lassen würde. Sie verschlimmern sich bei Aktivierung oder (passiver) Dehnung der verletzten Muskeln. Schmerzmittel sind weitgehend unwirksam. Zusätzlich können folgende Symptome auftreten:

  • Kribbeln, Brennen oder andere Missempfindungen in Haut und Muskeln
  • hart angespannte Muskulatur beim ACS, häufig mit Weichteilschwellungen
  • überwärmte, glänzende Haut mit Spannungsblasen, gegen die auch ein Hochlagern der betroffenen Extremität nicht hilft
  • Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen, die bereits auf dauerhafte Gewebeschädigungen hinweisen.

Beim chronischen (Belastungs-)Kompartmentsyndrom, das überwiegend in den Beinen oder Füßen auftritt, sind langfristige Schäden selten. Wichtigste Symptome sind hier Schmerzen oder Krämpfe bei akuter Muskelbelastung. Auch Taubheitsgefühle, (sichtbare) Muskelvorwölbungen und Bewegungseinschränkungen (vor allem im Fuß) können auftreten.

Wie wird ein Kompartmentsyndrom diagnostiziert?

Bei Verdacht auf ein akutes Kompartmentsyndrom sollte schnellstmöglich die Notaufnahme eines Krankenhauses aufgesucht werden, da unbehandelt bereits nach wenigen Stunden irreversible Muskelschäden auftreten können.

Ist die erkrankte Person ansprechbar, wird sie zu ihren Symptomen und dem Zustandekommen der Verletzung befragt (Anamnese). Es folgt eine genaue Untersuchung der verletzten Körperstelle. Schwierig ist eine rasche Diagnose, wenn potenziell Erkrankte unfallbedingt bewusstlos sind oder im Koma liegen – oder wenn es sich bei den Betroffenen um kleine Kinder handelt, die noch keine Auskunft über ihr Befinden und den Unfallhergang geben können. Eine entscheidende Rolle kommt in solchen Fällen der apparativen Diagnostik in Form einer Logendruckmessung (Kompartmentdruckmessung) zu. Dabei wird eine Hohlnadel, die an einen Druckabnehmer angeschlossen ist, wiederholt in den Muskel gestochen. Erhöht sich der Druck im zeitlichen Verlauf, so weist dies auf ein akutes Kompartmentsyndrom hin. Untersucht werden sollte auf diese Weise jedes Kompartiment der verletzten Extremität.

Allgemein ist ACS eine Diagnose, die häufig aufgrund eher vager klinischer Anhaltspunkte gestellt wird. Besteht der begründete Verdacht auf ein akutes Kompartmentsyndrom, so wird in der Regel eine Therapie eingeleitet, ohne weiter abzuwarten.

Beim chronischen Kompartmentsyndrom ist hinsichtlich Diagnostik und Behandlung keine Eile geboten. Bei der Untersuchung werden zunächst andere Erkrankungen ausgeschlossen, die für die Schmerzen in der betroffenen Extremität verantwortlich sein könnten – beispielsweise Sehnenentzündungen oder Überlastungsfrakturen. Dies geschieht durch eine gründliche Anamnese und den Einsatz verschiedener, zum Teil bildgebender Untersuchungsverfahren (zum Beispiel Röntgen, MRT oder Ultraschall).

Auch im Hinblick auf ein chronisches Kompartmentsyndrom kann eine Druckmessung in der betroffenen Loge wichtige Hinweise geben. Sie erfolgt üblicherweise vor und nach der sportlichen Belastung, um deren Einfluss auf den Logendruck ablesen zu können: Bleibt der Druck nach dem Training hoch, deutet dies auf ein CCS hin.

Welche Therapien helfen gegen überhöhten Gewebedruck?

Wird der Druck im Muskelgewebe beim akuten Kompartmentsyndrom nicht schnell genug abgebaut, kann es zu bleibenden Bewegungseinschränkungen und Gewebeabbau kommen. Auch Entzündungen und andere Komplikationen mit teils lebensgefährlichen Folgen sind möglich.

Kommen enge Gipsverbände oder andere Bandagen als Grund für die Druckerhöhung in Betracht, werden sie erneuert. Ungünstig gelagerte Gliedmaße werden gegebenenfalls anders positioniert.

Da es im Falle eines akuten Kompartmentsyndroms keine wirksame konservative (nicht-operative) Therapie gibt, handelt es sich um einen chirurgischen Notfall: Um Nekrosen, also das Absterben von Gewebe, zu verhindern, sollte in der Regel innerhalb der ersten sechs Stunden nach Auftreten der Beschwerden eine sogenannte Faszienspaltung (Fasziotomie) durchgeführt werden. Im Operationssaal wird die Faszie nach der Durchtrennung der oberen Gewebeschichten gespalten und bereits abgestorbenes Gewebe abgetragen. Blut- und andere Flüssigkeitsansammlung werden abgesaugt. Nach ihrer Reinigung muss die Wunde zunächst offen bleiben, um den weiteren Heilungsverlauf besser kontrollieren und bei Entzündungen rasch einschreiten zu können. Zudem ist die Schwellung in der Regel so stark, dass der Schnitt nicht einfach zugenäht werden könnte. Die operative Öffnung (Inzision) wird vorübergehend mit einem Hauttransplantat, einer Kunsthaut oder einem Vakuumverband abgedeckt und frühestens fünf Tage später im Rahmen eines weiteren Eingriffs geschlossen.

Beim chronischen Kompartmentsyndrom kommen teilweise auch konservative Maßnahmen wie Kühlung der betroffenen Körperstelle, verschiedene physikalische Therapien, Orthesen (mechanische Entlastungshilfen) oder entzündungshemmende Medikamente zum Einsatz. Ihre Wirkung ist jedoch umstritten. Wichtiger ist es in der Regel, die Aktivitäten zu meiden, die die Beschwerden verursachen. Auch mehr Abwechslung beim sportlichen Training oder eine Veränderung der Trainingsumgebung (zum Beispiel veränderte Bodenbeläge) können hilfreich sein.

Versagen entsprechende konservative Behandlungen beim CCS, wird meist auch hier eine Operation in Betracht gezogen. Die OP-Technik ähnelt der beim akuten Kompartmentsyndroms, allerdings reicht in der Regel ein kürzerer Hautschnitt aus. Zudem handelt es sich nicht um eine Not-OP: Die Vor- und Nachteile des Eingriffs können sorgfältig abgewogen werden.

Wie verläuft ein Kompartmentsyndrom?

Von einer Verletzung oder Knochenfraktur bis zur Ausbildung eines ACS vergehen durchschnittlich 15 bis 36 Stunden, manchmal aber auch weniger. Die Prognose hängt stark davon ab, wie rasch das akute Kompartmentsyndrom diagnostiziert und behandelt wird. Zudem gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen der Erkrankung – je nachdem, welche Verletzung zugrunde liegt und wie groß ein Erguss im Muskelgewebe ist.

Unbehandelt kann ein akutes Kompartmentsyndrom schwerwiegende Folgen haben: von körperlichen Behinderungen bis hin zur im schlimmsten Fall notwendigen Amputation von Extremitäten.

Häufige Komplikationen eines ACS sind:

  • dauerhafte Verkürzungen von Muskeln (Muskelkontrakturen)

  • Muskel- und Weichteilnekrosen mit erhöhter Infektionsgefahr

  • Verletzungen von Nervengewebe (Nervenläsionen; vor allem an Oberschenkel und Fuß)

  • der Zerfall geschädigter Muskelfasern und ihr Eintritt in den Blutkreislauf (Rhabdomyolyse)

  • eine akut eingeschränkte Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) infolge des Zerfalls größerer Muskelmassen (Crush-Niere oder Crush Syndrome)

Sechs bis zwölf Stunden nach einer operativen Wiederherstellung des Blutflusses kann ein sogenanntes Rebound-Kompartmentsyndrom auftreten, das einen erneuten chirurgischen Eingriff notwendig macht.

Entzündet sich das geschädigte Gewebe, kann dies lebensgefährlich werden: In Bezug auf das (seltene) akute Kompartmentsyndrom des Oberschenkels beschreiben Studien eine Sterblichkeit von bis zu 45 Prozent.

Wie lange dauert die Heilung?

Eine Fasziotomie ist ein schwerwiegender chirurgischer Eingriff, der oft weitere Operationen nach sich zieht. Die anschließende Regeneration und Rehabilitation der betroffenen Körperregion dauert – je nach Lokalisation und Schwere des akuten Kompartmentsyndroms – mehrere Wochen bis Monate.

Der Genesungsprozess bei einem chronischen Kompartmentsyndrom kann sich ebenfalls hinziehen. Je nachdem, ob operiert werden muss oder konservative Therapien anschlagen, ist der Heilungsverlauf individuell unterschiedlich lang.

Welche vorbeugenden Maßnahmen sind wirksam?

Ein ACS, das durch eine Verletzung verursacht wird, lässt sich nur durch allgemeine Vorsichtsmaßnahmen und vorausschauendes Handeln verhindern. Insbesondere bei Knochenbrüchen (Frakturen) in den Extremitäten sollte eine frühzeitige Diagnose und Behandlung angestrebt werden, um Komplikationen zu verhindern.

Fühlt sich ein Gips, ein Druckverband, eine Schiene oder Ähnliches zu eng an, sollte ein Wechsel erfolgen. Sind Schmerzmittel nach einer Verletzung unwirksam, schwillt das betroffene Körperteil auffällig an oder sind Missempfindungen spürbar, sollte immer ein Kompartmentsyndrom in Betracht gezogen und eine Notaufnahme aufgesucht werden.

In Bezug auf ein Belastungskompartmentsyndrom gibt es durchaus präventive Möglichkeiten: Zum einen ist es ratsam, das Trainingspensum im Sport nur allmählich zu steigern, zum anderen sollte die Körperposition möglichst häufig gewechselt (zum Beispiel beim Laufen die Lauftechnik regelmäßig variiert) werden. Von einer Überbeanspruchung der Muskeln durch ein zu anspruchsvolles, einseitiges Training ist abzuraten. Auch geeignetes, individuell angepasstes Schuhwerk und weiche Trainingsuntergründe können Überlastungen vorbeugen und ein chronisches Kompartmentsyndrom verhindern.

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