Fetales Alkoholsyndrom (FAS): Lebenslange Folgen fürs Baby
In Deutschland ist das Fetale Alkoholsyndrom die häufigste Form einer angeborenen Behinderung – noch vor dem Down-Syndrom. Die irreparable Schädigung kann beim Neugeborenen auftreten, wenn die werdende Mutter in der Schwangerschaft Alkohol konsumiert. Selbst wenige Trinkexzesse reichen dafür aus.
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Schätzungsweise kommen nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit jährlich etwa 10.000 Babys mit alkoholbedingten Schäden zur Welt. Es wird vermutet, dass sich darunter mehr als 2.000 Kinder befinden, die an der Vollausprägung des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) leiden. Experten gehen außerdem von einer hohen Dunkelziffer aus.
Die körperlichen und geistigen Schäden entstehen bereits im Mutterleib, sind unheilbar und beeinträchtigen das Leben der Betroffenen stark – ohne Unterstützung können sie ihren Alltag nicht meistern. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. erreichen weniger als zehn Prozent ein selbstständiges Leben. "Kaum etwas kann dem ungeborenen Kind so große Schäden zufügen wie der Lesen Sie hier alles, was Sie über Alkohol in der Schwangerschaft wissen müssen", lässt auch Marlene Mortler, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, in einer Pressemitteilung verlauten. Trotzdem wird die Erkrankung oft unterschätzt oder bleibt unentdeckt. Ein gravierendes Problem, denn Betroffene brauchen eine maßgeschneiderte Förderung – von Anfang an.
Artikelinhalte auf einen Blick:Was sind Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD)?
Unter dem Begriff Fetale Alkoholspektrumstörungen (Fetal Alcohol Spectrum Disorder) werden mehrere Formen von vorgeburtlichen Schäden zusammengefasst – sie alle sind durch den Alkoholkonsum der schwangeren Mutter bedingt. Folgende unterschiedlich starke Ausprägungen können vorliegen:
Fetales Alkoholsyndrom (FAS), auch Alkoholembryopathie genannt: Das Vollbild der Erkrankung liegt vor, wenn es mit Wachstumsstörungen, Fehlbildungen wie Verformungen im Gesichtsbereich und Störungen des zentralen Nervensystems einhergeht.
Partielles Fetales Alkoholsyndrom (pFAS): Hierbei liegt eine Teilstörung vor, bei der es weniger sichtbare Auffälligkeiten gibt als bei der Vollausprägung.
Alkoholbedingte neurologische Entwicklungsstörungen (Alcohol-Related Neurodevelopmental Disorders, ARND): Es werden nach bestätigtem Alkoholkonsum der Mutter ausschließlich Störungen des zentralen Nervensystems beobachtet – körperliche Anzeichen liegen nicht vor.
Alkoholbedingte angeborene Malformationen, auch alkoholbedingte Geburtsschäden genannt (Alcohol Related Birth Defects, ARBD): Als direkte Folge des belegten Alkoholkonsums liegen Fehlbildungen an den Organen und/oder Knochen vor.
Im Gegensatz zu den letzten beiden Formen können die Diagnosen FAS und pFAS auch gestellt werden, wenn der Alkoholkonsum der Mutter nicht nachgewiesen ist, sondern nur vermutet wird.
Fetales Alkoholsyndrom: Symptome von FAS
Folgende Leitsymptome deuten nach Angaben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung bei Neugeborenen auf FAS hin:
- Kleinwuchs
- Untergewicht/geringes Geburtsgewicht
- Gesichtsauffälligkeiten
- Verhaltensstörungen wie geringer Saugreflex, Ruhelosigkeit und erhöhte Reizbarkeit
- Mikrozephalus (kleiner Kopfumfang)
- Herzfehler
- Nierenfehlbildungen
- Skelettale Fehlbildungen
- Unterschiedlich stark ausgeprägte Entwicklungsstörungen
Jedoch sind nicht alle Schäden, die bereits während der Schwangerschaft durch den Alkoholkonsum der Mutter entstanden sind, direkt nach der Geburt sichtbar. Motorische Fehlentwicklungen oder Entwicklungsverzögerungen können im Jugend- und Erwachsenenalter viel prominenter erscheinen, während sich Wachstumsstörungen oder Gesichtsveränderungen mit fortschreitendem Lebensalter verändern und weniger auffällig sind. Die Menschen haben dann etwa Probleme, das richtige Maß an Nähe und Distanz zu finden. Folgende geistige Symptome können sich zudem im Laufe der Entwicklung bemerkbar machen:
- Intellektuelle Beeinträchtigungen/Intelligenzminderung
- Kognitionsstörungen – zum Beispiel bei Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
- Teilleistungsstörungen in Bereichen wie Lesen, Rechnen oder Schreiben
- Störung der exekutiven Funktionen – also der geistigen Fähigkeiten, um das eigene Verhalten zu regulieren
- Verhaltensauffälligkeiten
Gerade die Störung der exekutiven Funktionen bedeutet für Betroffene eine umfangreiche Einschränkung ihres Alltags, insbesondere in Bezug auf die schulische und berufliche Ausbildung. Sie haben Probleme mit der Entscheidungsfindung, sozialen Regeln, verstehendem Lesen sowie dem Sprach- und Aufgabenverständnis.
Lifeline / Wochit
Fetales Alkoholsyndrom im Erwachsenenalter
Die entstanden Schäden des Fetalen Alkoholsyndroms bleiben ein Leben lang. Im Jugend- oder Erwachsenenalter können weitere Krankheitsbilder oder Folgekrankheiten auftreten. Dazu zählen Anpassungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Depressionen und Suchterkrankungen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt an, dass Schätzungen zufolge 20 bis 40 Prozent der FAS-Kinder im Erwachsenenalter eine Alkoholabhängigkeit entwickeln. Auch Kriminalität und Straffälligkeiten sind laut Bundesregierung keine Seltenheit.
Um solche Folgen zu verhindern und Kindern von Beginn an die richtige Hilfe anzubieten, ist eine frühe Diagnose des Fetalen Alkoholsyndroms sehr wichtig. Betroffene brauchen ein Umfeld, das ihren Bedürfnissen entspricht, damit es nicht zu einer Überforderung kommt. Durch eine frühe Förderung können Alltagsroutinen geschaffen und so die Lebensqualität erhöht werden. "Betroffenen kann der Lebensweg durch gezielte Unterstützung enorm erleichtert werden", so auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung in einer Mitteilung des Ministeriums.
Eine Frühförderung bedeutet allerdings, dass eine Früherkennung vorausgegangen ist. Ebendies scheint in der Praxis jedoch schwer zu fallen. Ein Grund: Betroffene haben nicht selten Vernachlässigungen und Misshandlungen erlebt, die mit Bindungsstörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen einhergehen und die eigentliche Ursache von sozialen oder emotionalen Schwierigkeiten verschleiern.
Diagnose des Fetalen Alkoholsyndroms
Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. erhalten Schätzungen zufolge 90 bis 95 Prozent der erkrankten Kinder bisher keine oder eine falsche Diagnose – meist ADHS. Als Begründung nennen die Experten, dass viele Mütter ihren Alkoholkonsum während der Schwangerschaft nicht angeben oder nicht danach gefragt werden.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) hat eine S3-Leitline zur Diagnose von Fetalen Alkoholspektrumstörungen erstellt. Sie soll Behandelnden dabei helfen, das Krankheitsbild früh zu erkennen. Zur Diagnose müssen mehrere Kriterien innerhalb des Vier-Säulen-Modells erfüllt sein, um andere Ursachen auszuschließen. Denn eine reine Wachstumsstörung könnte zum Beispiel auch durch chronische Erkrankungen, hormonelle Störungen, eine Mangelernährung oder genetische Faktoren ausgelöst worden sein. Zeigt ein Kind nur Auffälligkeiten bei einer der vier Säulen, bietet das aber Anlass, die anderen drei Bereiche ebenfalls zu untersuchen.
Symptome anhand der FAS-Diagnose-Kriterien erkennen:
Wachstumsauffälligkeiten wie niedriges Gewicht, geringe Größe und Body-Mass-Index (BMI).
Auffälligkeiten im Gesicht wie kurze Lidspalten, verstrichenes Philtrum (Rinne zwischen Nase und Oberlippe) oder schmale Oberlippe. Um bei den Gesichtsveränderungen Abweichungen zu erfassen, vermessen die Ärzte diese Merkmale und vergleichen sie mit den Werten von Gleichaltrigen.
Auffälligkeiten des zentralen Nervensystems (ZNS) sowohl funktionell zum Beispiel in Bezug auf Intelligenz, Sprache, Feinmotorik, Aufmerksamkeit, Rechen- oder Merkfähigkeit sowie strukturell durch eine Mikrozephalie (Schädelverformung). Hierzu werden standardisierte Tests verwendet, die Sprachentwicklungen oder feinmotorische Fähigkeiten überprüfen.
Bestätigter oder nicht bestätigter Kontakt des Babys mit Alkohol innerhalb der Gebärmutter.
FAS vorbeugen: Kein Alkohol in der Schwangerschaft
Das Fetale Alkoholsyndrom ist zu 100 Prozent vermeidbar, wenn die werdende Mutter in der Schwangerschaft nicht trinkt. "Deshalb muss in der Schwangerschaft für jede werdende Mutter eine ganz klare 0,0-Promille-Grenze gelten", so Drogenbeauftragte Mortler in einem Bericht der Bundesregierung. Mutter und Ungeborenes sind über Nabelschnur und Plazenta miteinander verbunden. Nach kürzester Zeit hat das Baby deshalb den gleichen Alkoholspiegel wie die Mutter. Seine Organe befinden sich aber noch in der Entwicklung und das Kind ist nicht dazu in der Lage, das Zellgift schnell abzubauen. Die toxischen Substanzen wirken sich nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vor allem auf das Gehirn des Babys aus und führen so schon vor der Geburt zu krankhaften, bleibenden Schäden.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nennt außerdem eine Reihe von Risikofaktoren für das Fetale Alkoholsyndrom, die unter anderem in USA, Kanada und Europa erhoben wurden. Dazu zählen ein hoher sowie ein chronischer Alkoholkonsum, der Alkoholkonsum im ersten und zweiten Trimester, während der gesamten Schwangerschaft sowie die zusätzliche Einnahme von Amphetaminen und multiplen Drogen. Hinzu kommen mütterliche Risikofaktoren wie ein Alter über 30 Jahre, ein geringer sozioökonomischer Status, Stress, mütterliche Unterernährung sowie ein von FASD-betroffenes Kind in der Familie.
Wichtig: Es gibt keinerlei verlässliche Aussagen dazu, welche Alkoholmenge zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft zu einer Schädigung führt. Deshalb gilt in der Schwangerschaft: Nur kompletter Verzicht ist das Beste fürs Baby – es gibt keine Trinkmenge, die als unbedenklich angesehen werden kann. Das Motto der Experten vom Bundesministerium für Gesundheit lautet: Alkohol – Kein Schluck! Kein Risiko!
Leider scheinen viele Schwangere nur ungenügend darüber informiert zu sein, welche folgenschweren Auswirkungen der Alkoholkonsum für das Ungeborene hat. Laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen ergab ein TNS Infratest, dass 44 Prozent der Deutschen die Gefahren nicht kennen. Eine Studie der Charité Berlin kam zu dem Ergebnis, dass 58 Prozent der befragten schwangeren Frauen gelegentlich Alkohol trinken. Auch Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erklärt dazu in einer Pressemitteilung: "Es ist nicht nachvollziehbar, dass mehr als ein Viertel der Frauen selbst dann noch Alkohol trinken, wenn ihnen bekannt ist, dass sie schwanger sind. Sie unterschätzen entweder das Risiko oder sie kennen es gar nicht." Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. gibt zu bedenken, dass es mittlerweile als erwiesen gilt, dass nicht nur ein intensiver Alkoholkonsum zu Schäden führt. Selbst geringer Konsum und vereinzelte Trinkexzesse können gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge haben.
Lesen Sie hier alles, was Sie über Alkohol in der Schwangerschaft wissen müssen.
Hilfe für Schwangere, Angehörige und Betroffene von FASD
Schwangere Frauen sollten sich von ihrem Arzt zu den Folgen aufklären lassen und stets die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Wer Schwierigkeiten hat, mit dem Trinken aufzuhören, sollte unbedingt mit dem Arzt darüber sprechen. Es gibt keinen Grund sich dafür zu schämen, eine mögliche Schwäche einzugestehen. Im Gegenteil: Frauen können so frühzeitig Unterstützung erhalten, ohne ihr Kind zu schädigen. Spezielle Beratung für Schwangere, die Nikotin oder Alkohol konsumieren, gibt es anonym und kostenlos bei der Online-Plattform IRIS: www.iris-plattform.de. Zögern Sie zum Schutz Ihres Babys nicht, sich Hilfe zu suchen.
Adoptiv- oder Pflegeeltern von Kindern mit FASD sowie Menschen, die selbst betroffen sind, finden beim Verein FASD Deutschland e.V. regionale Ansprechpartner, Selbsthilfegruppen und viele weitere Hilfsangebote. Auch die unterstützenden Therapiemöglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität werden hier vorgestellt - dazu gehören zum Beispiel Krankengymnastik, Logopädie (Sprachtherapie), Verhaltens- oder Bewegungstherapie sowie medikamentöse Behandlungen: www.fasd-deutschland.de. Alle Informationen und Broschüren zum Thema hat das Bundesministerium für Gesundheit auf der Website der Drogenbeauftragten zusammengestellt: www.drogenbeauftragte.de.
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