Hörsturz – Therapie, Ursachen und Verlauf
Pfeifende oder brummende Ohrgeräusche oder ein Druckgefühl im Ohr kündigen ihn an: den Hörsturz. Die plötzlich auftretende Hörstörung tritt ohne erkennbare Ursache auf. Verschwinden die Beschwerden nicht innerhalb von wenigen Tagen von selbst, muss der Weg zum Arzt führen.
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Ein Horrorszenario: Plötzlich streikt der Hörsinn, jedes Geräusch hört sich an wie durch einen Wattebausch gefiltert. "Die meist einseitig auftretende Hörminderung ist typisch für einen Hörsturz", sagt Professor Gerhard Hesse, Chefarzt des Ohr- und Hörinstituts im hessischen Bad Arolsen. Die Schwerhörigkeit kommt aus dem Nichts, "oft morgens direkt nach dem Aufstehen, oft auch in belastenden, stressigen Situationen", erklärt der Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga. Warum das so ist und was genau im Ohr passiert, hat die Wissenschaft bisher nicht herausfinden können. Ob Stress tatsächlich eine Rolle spielt, ist ebenfalls unklar.
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Tausende von Gehörsturz betroffen
Mehr als 150.000 Menschen erleiden laut Deutscher Tinnitus-Liga in Deutschland jedes Jahr einen Hörsturz. Die aktuelle Behandlungsleitlinie für Ärzte setzt höher an: Ihr zufolge sind es bis zu 328.000 Einwohner in Deutschland jährlich, die ein Hörsturz beeinträchtigt. Am häufigsten trifft es Menschen um das 50. Lebensjahr, wobei immer häufiger auch Jüngere betroffen sind. Beide Geschlechter sind gleichermaßen gefährdet.
Der Hörsturz ist kein Notfall, der sofort therapiert werden muss. Jan Löhler, Facharzt für HNO-Heilkunde in Bad Bramstedt und Mitglied des Deutschen Berufsverbands für HNO-Ärzte, sagt: "Die Beschwerden verschwinden oftmals von selbst. Nach 48 Stunden ohne erhebliche Besserung sollte allerdings ein Arzt aufgesucht werden."
Warum kommt es zum Hörsturz? Mögliche Ursachen
Ein Hörsturz passiert im Innenohr. Es wird zu wenig durchblutet, was dazu führt, dass die dort ansässigen Haarzellen nicht mehr genügend Sauerstoff bekommen. In der Folge nehmen sie Schallwellen in einem bestimmten Tonfrequenzbereich nicht mehr richtig wahr und wandeln sie in fehlerhafte elektrische Signale um, die ans Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet werden.
Die Ursachen für die mangelnde Durchblutung im Innenohr sind noch nicht abschließend geklärt. Daher auch der Fachbegriff akute idiopathische Innenohrschwerhörigkeit, was so viel bedeutet wie plötzlich auftretende Innenohrschwerhörigkeit ohne erkennbare Ursache.
Mehrere Faktoren wie beispielsweise negativer Stress (Distress) werden als Auslöser diskutiert. Löhler erklärt: "Er entsteht beispielsweise, wenn Arbeiten als überfordernd und wenig sinnstiftend empfunden werden oder emotional sehr belastend sind".
Weitere Risikofaktoren, die einen Hörsturz begünstigen:
- Halswirbel- und Kieferfehlstellungen
- zu hohe Cholesterinwerte
- Entzündung des Innenohrs oder Ohrverletzungen
- virale Infektionen, die vor allem Nerven befallen (Mumps-, Herpes-, Zoster-, Masern-, Influenza- oder Adeno-Viren)
- Autoimmunerkrankungen
- Hirnhautentzündung
- Multiple Sklerose
- toxische Einflüsse wie Drogen oder Arzneimittel
- Tumore
- mechanische Verletzungen wie ein Schädeltrauma
- Herz-Kreislauferkrankungen wie Bluthochdruck
- Tubenkatarrh (Entzündung der Ohrtrompete) oder Paukenerguss
- Herpes-Infektion am Ohr (Zoster oticus)
- Drehschwindel (Morbus Menière)
Symptome: Hörverlust ohne Schmerzen
"Hörsturz-Patienten berichten neben dem plötzlichen Hörverlust häufig von Begleiterscheinungen wie pfeifenden oder brummenden Ohrgeräuschen – dem sogenannten Tinnitus – oder einem Druckgefühl im Inneren des Ohrs", erklärt HNO-Arzt Jan Löhler.
Meist ist nur ein Ohr betroffen. Der Hörverlust kann im Laufe von Stunden zunehmen, sich aber auch als plötzliche Ertaubung zeigen. Von Fall zu Fall unterschiedlich sind auch die betroffenen Tonfrequenzen, die nicht mehr einwandfrei wahrgenommen werden. Manche Patienten hören hohe Töne, manche mittlere oder tiefe Töne nicht mehr so klar wie vor dem Hörsturz. Schmerzen treten allerdings keine auf.
Typische Symptome auf einen Blick:
- Hörverlust
- Pfeifen
- Brummen
- Piepsen
- dumpfes Gefühl (als ob man Watte im Ohr hätte)
- pelziges Gefühl an der Ohrmuschel
- Schwindelgefühle (da sich im Innenohr das Gleichgewichtsorgan befindet)
Hörtests und Ausschluss anderer Krankheiten: Die Diagnose
Am Anfang steht beim Hals-Nasen-Ohrenarzt immer das Gespräch. In der Anamnese geht es um die Art der Symptome, die Dauer der Beschwerden und ob Vorerkrankungen bestehen. Der Arzt wird ebenfalls abklären, ob der Patient starkem Lärm ausgesetzt war, was ein Knalltrauma zur Folge haben kann. Auch bestimmte Medikamente können Hörstörungen hervorrufen.
Im Anschluss folgt die Untersuchung:
Blutdruckmessung
Otoskopie: Mit einem Otoskop schaut sich der Mediziner den äußeren Gehörgang und das Trommelfell an. In manchen Fällen kann die otoskopische Untersuchung sofort Abhilfe schaffen. Nämlich dann, wenn der Druck auf dem Ohr an einem durch Ohrenschmalz verstopften Gehörgang liegt. Mit speziellen Instrumenten entfernt der Arzt den Schmalzstein sofort.
Mit einem Ohrmikroskop erkennt er Fremdkörper, Entzündungen im Gehörgang, Verletzungen oder Veränderungen durch eine Mittelohrentzündung am Trommelfell.
Mit der Stimmgabelprüfung, einem einfachen Hörtest, wird Mittel- und Innenohrschwerhörigkeit unterschieden. Hierzu wird dem Patienten eine schwingende Stimmgabel auf den Scheitel gesetzt. Der Ton der Stimmgabel wird durch die Knochen weitergeleitet und vom gesunden Patienten auf beiden Seiten gleich laut wahrgenommen. Bei einem Hörsturz empfindet der Patient den Ton im gesunden Ohr als lauter.
Als weiterer schmerzloser Hörtest folgt meist eine Audiometrie. Über einen Kopfhörer werden dabei Töne in verschiedenen Frequenzbereichen und Lautstärken abgespielt. Sobald der Patient einen Ton hört, gibt er ein Zeichen. Auf diese Art und Weise kann der Arzt das Ausmaß der Hörstörungen einschätzen.
Um eine Erkrankung des Hörnervs auszuschließen, ist es sinnvoll, zusätzlich den Druck im Innenohr zu messen (Tympanometrie). Auch die Messung der TEOAE (transitorische evozierte otoakustische Emissionen) dient der Ausschlussdiagnostik. TEOAE sind automatische Reaktionen der Haarzellen auf Schall. Die Haarzellen reagieren, indem sie die Schallwellen verstärken und wieder zurückgeben. Störungen der Haarzellen führen dazu, dass die Reaktion nicht mehr oder nur vermindert eintritt.
Der Arzt diagnostiziert erst dann eine akute idopathische Innenohrschwerhörigkeit, wenn er Erkrankungen, die eine Hörstörung zur Folge haben können, ausschließen kann. Dazu zählt beispielsweise eine Entzündung der Ohrtrompete oder eine Herpes-Infektion. In manchen Fällen wird der HNO-Arzt den Patienten daher an andere Fachärzte überweisen. Steht die Diagnose fest, dass es sich um eine Innenohrschwerhörigkeit ohne erkennbare Ursache handelt, beginnt die Hörsturz-Behandlung.
Therapie des Hörsturzes mit Entzündungshemmern
Ein Hörsturz galt früher als Notfall, mit dem man so schnell wie möglich zum Arzt sollte. Hektik oder gar Panik ist unnötig und sogar kontraproduktiv – es sei denn, das Ohr ist komplett taub. Insbesondere bei gering ausgeprägten Hörverlusten könnten die Patienten zunächst 24 bis 48 Stunden abwarten, erläutert Michael Deeg, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Freiburg und Sprecher des Deutschen Berufsverbands der HNO-Ärzte. In der Wartezeit sollten es die Patienten etwas ruhiger angehen lassen: Entspannen, früher schlafen gehen und auf Alkohol und Nikotin verzichten. Wer sehr beunruhigt ist, vorgeschädigte Ohren oder unter heftigen Symptomen leidet, sollte jedoch sofort zum Arzt.
Mittel der ersten Wahl: Kortison
Standardtherapie ist die Behandlung mit Glukokortikoiden wie Kortison. Eine der wichtigsten Eigenschaften ist die entzündungshemmende Wirkung. Standardmäßig verabreichen Ärzte im Rahmen der Hörsturz-Therapie wenige Tage lang hochdosiert Kortison. Dieses wird in Tablettenform verabreicht oder als Lösung in die Blutbahn oder ins Ohr gespritzt.
Bringt die Behandlung mit Kortison keinen Erfolg, gibt es die Möglichkeit der Sauerstoff-Überdruckbehandlung, deren Nutzen allerdings nicht erwiesen ist. Die Patienten atmen dabei in einer Druckkammer reinen Sauerstoff über eine Sauerstoffmaske ein. Das Blut wird so mit Sauerstoff angereichert. Gesetzlich Versicherte müssen für die Therapie selbst aufkommen, eine Sitzung kostet rund 200 Euro.
Infusionstherapien mit durchblutungsfördernden Präparaten, blutverdünnende Lösungen und andere Verfahren, die den Blutfluss verändern (etwa die Hämapherese, ein Verfahren zur Blutreinigung), werden heute nicht mehr empfohlen.
Verlauf eines Hörsturzes
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem Hörsturz einen zweiten zu erleiden, liegt bei rund 30 Prozent. Vor allem diejenigen sind gefährdet, die weiterhin Bluthochdruck haben oder anderen Risikofaktoren ausgesetzt sind.
Insgesamt stehen die Heilungschancen eines Hörsturzes aber gut: In etwa der Hälfte aller Fälle verbessert sich das Hören innerhalb der ersten 24 Stunden unabhängig von einer Behandlung wieder. Die Rate an Spontanheilungen in den ersten Wochen nach einem Hörsturz ist hoch. Bei 60 bis 90 Prozent der Patienten bleiben keine Schäden zurück.
Selbst schwere Fälle heilen bei frühzeitiger Behandlung oft völlig aus. Ein unbehandelter Hörsturz kann allerdings zu dauerhaften Hörminderungen führen.
Richtig umgehen mit bleibenden Hörschäden
Nicht immer gelingt es, das Hörvermögen vollständig wiederherzustellen: "Bei zehn bis 20 Prozent bleiben Hörminderungen", schätzt HNO-Arzt Gerhard Hesse. Dann sind vor allem Gespräche in großer Runde schwierig. Die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, lässt sich nicht mehr so gut identifizieren. Ein Hörgerät unterstützt das betroffene Ohr. Außerdem können sie helfen, einen störenden Tinnitus zu mildern – und erleichtern damit die Konzentration auf das Wesentliche im Gespräch.
Kann man einem Hörsturz vorbeugen?
"Wirklich vorbeugen kann man dem Hörsturz zwar nicht", sagt Jan Löhler. "Wer allerdings genügend schläft, sich ausreichend bewegt und schlechten Stress meidet, lebt gesünder und kann einigen Risikofaktoren wie beispielsweise dem Bluthochdruck vorbeugen." Auch Nikotinverzicht verringert die Gefahr, einen Hörsturz zu erleiden, denn Rauchen führt häufig zu Durchblutungsstörungen.
Wer sich häufig unausgeglichen und unruhig fühlt, kann es mit Entspannungstechniken wie Autogenem Training, Progressiver Muskelentspannung oder Meditation versuchen.