Suizid: Was Menschen zur Selbsttötung treibt
Jahr für Jahr nehmen sich weltweit rund 800.000 Menschen das Leben. Was sie zu der Verzweiflungstat treibt und wie sie davon abgehalten werden könnten, hat die WHO in ihrem ersten Bericht zur Suizidprävention analysiert.
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Suizid gehört zu den größten globalen Gesundheitsproblemen, wird aber in der Gesellschaft verdrängt und tabuisiert. Dabei zählt die Selbsttötung mit jährlich rund 800.000 Fällen weltweit und über alle Altersgruppen hinweg zu den 20 häufigsten Todesursachen. Daran erinnert seit 2003 der Welttag der Suizidprävention am 10. September.
Mehr Wissen notwendig: Suizidrate steigt seit 2008
Zwar sind die Suizidraten weltweit leicht rückläufig. So hat sich die Zahl der Selbsttötungen zwischen 2000 und 2012 um neun Prozent von 883.000 auf 804.000 verringert. Dies variiert aber von Region zu Region. In Deutschland beispielsweise hat sich die Suizidrate zwischen 1980 und 2007 halbiert, steigt aber seit 2008 wieder leicht an. 2012 starben in Deutschland 9.890 Menschen durch eigene Hand - doppelt so viele wie durch Verkehrsunfälle (3.827) und Mord (578) zusammengenommen.
Das bedeutet, dass sich in Deutschland alle 53 Minuten ein Mensch das Leben nimmt. Knapp zwei Drittel (7.287) der Suizidopfer waren Männer. Für Angehörige ist der Verlust eines geliebten Menschen durch Selbsttötung besonders belastend; viele brauchen in dieser Situation selbst professionelle Unterstützung.
Die Zahlen zeigen, wie wichtig ist. „Um die der Suizidalität zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen, muss die Suizidforschung intensiviert werden. Dabei kann es hilfreich sein, Suizidalität als eigenständige Störung zu definieren“, fordert beispielsweise Wolfgang Maier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) anlässlich des Aktionstages zur Prävention der Selbsttötung.
WHO-Bericht zur Suizidprävention liefert Faktensammlung
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im Vorfeld des Welttags ihren ersten Bericht zur Suizidprävention vorgelegt, der ausführliche Analysen der Risikofaktoren und darauf aufbauende Präventionsvorschläge enthält. Faktoren, die zur Selbsttötung führen können, liegen demnach in unterschiedlichen Bereichen.
Politisch gesehen ist der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsleistungen ein Hauptrisikofaktor für Suizid. Für reichere Nationen wie Deutschland mit einem relativ gut ausgebauten Gesundheitssystem sind gesellschaftliche Risikofaktoren von großer Bedeutung, beispielsweise die Stigmatisierung Hilfesuchender mit psychischen Problemen.
Stigmatisierung erschwert Hilfe
Diese bewirke, dass Menschen mit Selbsttötungsabsichten erst gar keine Hilfe suchen oder alleingelassen werden und weder rechtzeitig noch effektiv Hilfe erhalten, schreibt WHO-Generaldirektorin Margaret Chan im Vorwort zu dem Bericht. Zu den gesellschaftlichen Faktoren zählt die WHO auch eine unangemessene, detailreiche Sensationsberichterstattung über Suizide, die Nachahmer zur Folge haben kann, sowie den leichten Zugang zu potenziellen Selbsttötungsmethoden.
Entsprechend raten die Autoren des WHO-Berichts beispielsweise zum Ausbau von Absperrungen und Sicherungen auf Aussichtsplattformen oder Brücken, restriktiven Waffengesetzen und Verpackungsrichtlinien für Medikamente, die größere Abgabemengen von zur Selbsttötung infrage kommenden Wirkstoffen unterbinden.
Suizid kann impulsiv sein
Denn die meisten Menschen, die versuchen, sich umzubringen, sind nicht sicher, ob sie wirklich sterben wollen. Oft ist ein Suizidversuch eine impulsive Reaktion auf großen psychischen Stress. Wird das freiwillige Ausscheiden aus dem Leben durch die beschriebenen Maßnahmen erschwert, kann der daraus resultierende Zeitgewinn dazu führen, die Situation vielleicht noch einmal zu überdenken oder die schlimmste Krise lebend zu überwinden.
Als Suizid-Risikofaktoren im sozialen Umfeld nennt der WHO-Bericht neben Kriegen und Unglücksfällen
kulturelle Anpassungsschwierigkeiten,
Diskriminierung,
das Gefühl der Isolation und mangelnde soziale Unterstützung,
Beziehungsprobleme sowie
Traumata und Missbrauch.
Hohes Suizidrisiko durch Depressionen
Bei den individuellen Risikofaktoren kommt insbesondere in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen den psychischen Erkrankungen große Bedeutung zu. In diesen Gegenden liegt bei mehr als 90 Prozent der Suizidopfer ein psychisches Leiden vor. Allerdings mahnen die Autoren des WHO-Berichts hier zur Vorsicht: Schließlich seien Gemütserkrankungen und Suchtprobleme verbreitet, die meisten Betroffenen entwickeln aber nie Suizidabsichten.
Der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Suizid variiert zudem je nach Erkrankung. Das höchste Risiko für eine Selbsttötung besteht bei einer Depression sowie bei Alkoholismus. Laut Professor Armin Schmidke, Vorsitzender der Initiativgruppe "Nationales Suizid Prävention Programm" in Deutschland, nehmen sich bis zu 14 Prozent der das Leben.
Auch die Abhängigkeit von illegalen Drogen ist mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden. Laut Schmidke sind bis zu 30 Prozent der Drogentoten "sicher Suizide". Besonders gefährdet sind zudem Menschen mit zwei oder mehreren psychischen Erkrankungen beziehungsweise Störungen.
Weitere individuelle Risikofaktoren für Suizid sind
ein bereits vorangegangener Suizidversuch,
Verlust des Arbeitsplatzes oder finanzielle Schwierigkeiten,
Hoffnungslosigkeit,
chronische Schmerzen oder Erkrankungen und
familiäre Vorbelastung.
Immer mehr alte Menschen bringen sich um
Gesellschaftliche Gruppen, die sozialen oder individuellen Risikofaktoren besonders ausgesetzt sind, sind entsprechend gefährdet. Dies sind beispielsweise alte Menschen. In Deutschland ist die Suizidrate am größten in der Altersgruppe der über 70-Jährigen - mit steigender Tendenz. Auch Häftlinge, insbesondere in U-Haft, gehören zu den besonders gefährdeten Personengruppen, ebenso Migranten und Flüchtlinge. Eine weitere Risikogruppe sind Homosexuelle: Ihre Suizidgefährdung ist vier- bis siebenmal so hoch wie die von Heterosexuellen.
Selektive und indizierte Präventionsstrategien
Bewährt haben sich selektive Präventionsstrategien, die sich gezielt an Risikogruppen wenden. Dazu gehört beispielsweise das Training sogenannter Gate-Keeper. Darunter sind Personen zu verstehen, die aufgrund ihrer Tätigkeit theoretisch in der Lage sind, Suizidgefährdete zu erkennen, wie beispielsweise Angehörige von Gesundheitsberufen, Lehrer oder Sozialarbeiter. Spezielle Trainingsprogramme können sie in die Lage versetzen, Anzeichen einer Suizidgefährdung zu erkennen, einzuschätzen und die Betroffenen auf Behandlungsmöglichkeiten und Hilfsangebote hinzuweisen.
Indizierte Präventionsstrategien richten sich nicht an Personengruppen, sondern individuell an gefährdete Personen. Hier nennt der WHO-Bericht beispielsweise besondere Betreuungsprogramme für Menschen, die bereits als suizidgefährdet identifiziert wurden.
Persönliche Beziehungen wichtiger Schutzfaktor
Der ausführliche WHO-Bericht geht aber nicht nur auf die Risiken für Suizid ein, sondern auch auf Faktoren, die vor Suizidgefährdung schützen. Diese sind vor allem in persönlichen Beziehungen zu sehen. "Freunde und Familie können eine bedeutsame Quelle sozialer, emotionaler und finanzieller Unterstützung darstellen und die Auswirkungen externer Stressfaktoren puffern", schreiben die Autoren.
Die Anfälligkeit für Suizid liegt aber auch in der Persönlichkeit begründet sowie den individuellen Fähigkeiten, mit Stressfaktoren umzugehen. Emotionale Stabilität, eine optimistische Grundeinstellung und Selbstwertgefühl sind dabei Schlüsselbegriffe. Eine glückliche spielt dafür eine entscheidende Rolle.
Warnzeichen einer Suizidgefährdung
Wie aber können Freunde und Familienangehörige eine Suizidgefährdung erkennen? Hellhörig werden sollten Sie, wenn jemand im Freundes- oder Familienkreis sich zurückzieht, gewohnte Aktivitäten aufgibt, bedrückt wirkt oder von Stimmungsschwankungen beherrscht wird. Gerade bei Jugendlichen kann auch eine aggressive Abwehrhaltung zu den Warnzeichen einer Suizidgefährdung zählen.
Derartige Verhaltensänderungen deuten vor allem dann auf eine Suizidgefährdung hin, wenn der oder die Betroffene davon spricht, keinen Sinn im Leben zu sehen oder sich große Schuldvorwürfe macht. Dies besonders dann, wenn dabei auch das Thema Suizid angesprochen wird oder gar konkrete Selbsttötungspläne beziehungsweise -absichten geäußert werden. Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass jemand, der über Suizid spricht, sich nicht umbringt. Das Gegenteil ist der Fall: In bis zu 75 Prozent aller Fälle wird eine Selbsttötung zuvor angekündigt.
Trügerische Ruhe vor Suizidversuch
Vor einer Selbsttötung oder einem Suizidversuch werden Betroffene auch auffällig ruhig und fröhlich nach Wochen der Unruhe und Niedergeschlagenheit, ein Phänomen, das als präsuizidale Aufhellung bezeichnet wird. Dann ist größte Gefahr im Verzug, zumal, wenn der Betreffende plötzlich Besitztümer verschenkt oder ein Testament machen will.
Gespräch suchen bei Suizidgefahr
Bei solchen Warnzeichen heißt es aktiv werden und das Gespräch suchen. Sprechen Sie dabei das Thema Suizid offen an, hören Sie zu, fragen Sie nach den Gründen des Todeswunsches. Das Gespräch sollte offen und vertrauensvoll, keinesfalls wertend oder bagatellisierend sein. Natürlich hängt der Gesprächsverlauf auch von der jeweiligen Person ab, einem alten Menschen müssen Sie anders begegnen als etwa einem Jugendlichen. Vermitteln Sie vorsichtig Zuversicht und versuchen Sie, die betreffende Person von der Inanspruchnahme professioneller Hilfe eines Psychologen oder Psychotherapeuten zu überzeugen.
Zentrale Anlaufstelle bei Suizidgefahr
Wenn Sie nicht mehr weiter wissen, bieten verschiedene Organisationen Hilfe an. Zentrale Anlaufstelle in Deutschland ist die Telefonseelsorge, die bundeseinheitlich telefonisch unter 0800 -11 10 111 oder 0800 -11 10 222 rund um die Uhr kostenfrei zu erreichen ist. Die Mitarbeiter dieses Krisentelefons hören zu und vermitteln bei Bedarf an Einrichtungen vor Ort, der oder die Ratsuchende kann dabei anonym bleiben.
Auch im Internet gibt es zahlreiche Hilfsangebote für Menschen, die eine Selbsttötung erwägen oder sich Sorgen um einen Angehörigen mit Suizidgedanken machen. Eine Übersicht bietet beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention auf ihrer Homepage.
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