Parkour – Wenn die Stadt zum Trainingsgelände wird
Hindernisse auf dem Weg von A nach B effizient und flüssig überwinden
In den 1980er Jahren gegründet, erfreut sich Parkour einer wachsenden Anhängerschaft. Sozialwissenschaftler Thomas Heinen erklärt die Attraktivität von Trendsportarten wie Parkour oder Freerunning damit, dass es sich um "eine gewisse Art von Lebensstil" handelt.
Sie rennen Mauern hoch, balancieren in Windeseile Treppengeländer entlang oder springen von Hausdach zu Hausdach. Die Rede ist von Anhängern des Parkour, einer noch vergleichsweise jungen Sportart. Die Kunst der effizienten Fortbewegung, wie Parkour auch genannt wird, beschreibt Florian Krick, Sportlehrer und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaften (IfS) der Universität Frankfurt am Main, in einem Referat so: eine "Mischung aus Sport und Bewegungskunst, eine Kombination aus Körperbeherrschung und Geist, eine Verbindung von Ästhetik, Balance, Dynamik, Effizienz und Präzision".
Für Traceure mehr als eine Sportart
Diese Beschreibung lässt bereits erkennen, dass Parkour für seine Anhänger, die sich Traceure nennen, mehr als nur eine Sportart ist. "Die Traceure reduzieren ihre Freude an Parkour nicht auf den rein sportlichen Aspekt. Jeder echte Traceur beziehungsweise Freerunner lebt auch mental seine Sportkunst, lebt in der Philosophie der Gründer D. Belle und S. Foucan", schreiben Jan Witfeld, Ilona E. Gerling und Alexander Pach in ihrem Buch über Parkour.
Für den Sozialwissenschaftler Thomas Heinen von der Universität Hildesheim sind jüngere Sportarten wie Parkour "eine gewisse Art von Lebensstil": "Man hat lässige Kleidung an, man nutzt die Bewegungsangebote, die sich so draußen ergeben", sagt er.
Hinzu komme ein gewisses Risiko, das zum Parkour gehört und für Spannung sorgt. Denn über Mauern oder Zäune hinwegzusetzen ist nicht nur körperlich anspruchsvoll, es ist auch ein Stück gefährlicher als das Turnen in einer mit Matten abgesicherten Halle.
Parkour beinhaltet Grundformen des Turnens und der Leichtathletik
Es geht darum, Hindernisse auf einem Weg von A nach B mit Hilfe der eigenen Fähigkeiten effizient und flüssig zu überwinden. Dabei kommen Grundformen aus Turnen und Leichtathletik zum Einsatz wie beispielsweise Laufen, Balancieren, Rollen, Kippen, Klettern und vor allem Sprünge.
Traceure haben griffige Namen für die einzelnen Bewegungselemente erfunden, berichtet Heinen. "Ein ‚Salto rückwärts‘ ist dann ein ‚Back Flip‘, eine ‚Sprunghocke‘ wird als ‚cat pass’‚ monkey‘ oder ‚gorilla’ bezeichnet. Das ist nichts Neues, hört sich aber cooler an“, erklärt der Wissenschaftler.
Effiziente Fortbewegung ohne Norm
Ganz das Gleiche ist es aber doch nicht. Anders als beim klassischen Geräteturnen gibt es bei den Bewegungen kein "richtig" oder "falsch" im engeren Sinne - nur flüssig müssen sie sein. „Turnen ist gebunden an eine Norm. Der Strecksprung hat in einer bestimmten Art und Weise auszusehen, gestreckte Füße, angelegte Arme", erläutert Heinen und verweist auf das Regelbuch im Kunstturnen, das über 200 Seiten zählt.
"Das alles spielt bei den neueren Bewegungsformen keine Rolle, man kann Beine abknicken und individueller und spektakulärer halten“, so Heinen. Für ihn ist das mit ein Grund, warum Sportarten wie Parkour unter Jugendlichen beliebter sind als beispielsweise klassisches Geräteturnen, obwohl die körperlichen Anforderungen doch ähnlich sind.
Grundtechniken im Parkour
Auch wenn ein Regelbuch wie in anderen sportlichen Disziplinen bei Parkour fehlt, gibt es doch eine Grundtechniken, die Traceure üben.
Rolle oder Roulade: Die Rollbewegung schräg über die Schulter dient dazu, die Fallenergie nach einem Sprung zum Boden (Saut de fond) in eine flüssige Vorwärtsbewegung zu transferieren und zählt zu den wichtigsten Bewegungsmustern im Parkour.
Halbe Drehung (Demi-tour): Das Hindernis wird an- und übersprungen, wobei der Traceur mit beiden Händen am Hindernis abstützend eine Drehung um 180 Grad vollzieht und dadurch in kontrollierter Position landet.
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Katzensprung (Saut de Chat oder cat pass): Ähnlich wie beim vom Turnen her bekannten Hocksprung wird das Hindernis überwunden, indem der Traceur nach dem Absprung die Knie an die Brust zieht und durch die Arme, die sich am Hindernis abstützen, über das Hindernis schwingt. Dies ermöglicht beispielsweise weite Sprünge über Mauern.
Réverse: Ein Sprung, bei dem der Traceur rückwärts über das Hindernis springt und mit einer Drehbewegung kontrolliert landet. Aus der entstehenden Fliehkraft kann der Traceur Geschwindigkeit für die weitere Bewegung gewinnen.
Weitsprung (Saut de détente): Ähnlich wie in der gleichnamigen Leichtathletik-Disziplin ein weiter Sprung mit Anlauf, um Lücken oder Hindernisse zu überwinden.
Präzisionssprung (Saut de précession): Der Sprung wird ohne Anlauf oder als Anschlussbewegung ausgeführt und dient dazu, beispielsweise auf einer Mauer oder einer Stange präzise zu landen, wobei der Traceur idealerweise möglichst geräuscharm auf den Fußballen landet.
Mauer-Überwindung (Passe muraille): Diese Bewegung kommt zum Einsatz bei Hindernissen, die zu hoch sind, um sie mit einem Sprung zu überwinden. Der Traceur springt das Hindernis, beispielsweise eine Mauer, aus dem Anlauf mit einem Fuß an und stößt sich nach oben hin ab und nutzt so die Anlaufgeschwindigkeit, um Höhe zu gewinnen. Die Arme werden gleichzeitig nach oben geworfen, um die Aufwärtsbewegung zu unterstützen. Mit den Händen greift der Traceur nach dem oberen Ende des Hindernisses, um sich daran hochzuziehen und so das Hindernis zu überwinden. Das Hochziehen wird auch als Planche bezeichnet.
Tic-Tac: Mit dieser Technik können Hindernisse überwunden werden, die zu instabil sind für die Überquerung mit einer einfachen Mauerüberwindung oder wenn der Winkel im Anlauf der Passe mureille entgegensteht. Dabei springt der Traceur eines oder mehrere andere Objekte an, um die nötige Höhe oder den richtigen Winkel zur Überquerung des Hindernisses zu erreichen.
Durchbruch (Franchissement): Darunter ist eine Technik zu verstehen, die dem Unterschwung am Reck ähnelt: Der Traceur nutzt sie, um sich durch Hindernisse hindurch zu bewegen, beispielsweise durch ein Treppengeländer oder unter einer Stange hindurch.
Vorläufer Méthode Naturelle
Die französischen Bezeichnungen deuten auf die Herkunft des Parkour hin: Die Entwicklung der Sportart wird dem Franzosen David Belle zugeschrieben. Vorbild war die "Méthode naturelle", eine Trainingsmethode, die auf den 1875 geborenen französischen Marineoffizier Georges Hébert zurückgeht.
Nach dem Motto "Stark sein, um nützlich zu sein" hatte dieser nach einer Methode gesucht, um Körper und Geist gleichermaßen zu stärken und ein Trainingsprogramm entwickelt, das die zehn Teildisziplinen Laufen, Gehen, Springen, Klettern, Heben, Werfen, Schwimmen, Balancieren, Selbstverteidigung und Sich-Bewegen auf allen Vieren beinhaltete. Hébert entwarf Parcours, in denen die verschiedenen Teildisziplinen absolviert werden konnten.
Die französische Armee integrierte die Méthode naturelle in ihr Ausbildungsprogramm. Neben den Parcours wurde auch in der freien Natur trainiert: Die Soldaten sollten dabei Hindernisse auf einer Route ohne Hilfsmittel, nur durch eigene Kraft und Geschicklichkeit überwinden.
David Belles Vater erlernte die Méthode naturelle während seiner Zeit in der französischen Armee und gab sie später an seinen Sohn weiter, der sie Ende der 1980er Jahre in einem Vorort von Paris abwandelte, an eine urbane Umgebung anpasste und Parkour taufte.
Bitte blättern: Auf Seite zwei lesen Sie, welche Voraussetzungen künftige Traceure mitbringen sollten und wieso Parkour weit mehr ist als nur ein Sporttrend.
Was ist Parkour, was bringt der neue Trendsport? Dieser Frage geht ein Filmteam von Spiegel TV nach.
YouTube.com/Spiegel TV
Parkour als Schule fürs Leben
Zusammen mit gleichgesinnten Freunden, darunter Sébastien Foucan, gründete Belle 1997 die Parkour-Gruppe Yamakasi, was soviel heißt wie "starker Körper, starker Geist". Durch Auftritte von Mitgliedern der Gruppe in Werbespots und Filmen wurde Parkour allmählich bekannt.
Inzwischen gibt es mehrere Abwandlungen des Parkour wie beispielsweise Freerunning. Diese Trainingsmethode, als deren Gründer Sébastien Foucan als Gründer gilt, beinhaltet auch ästhetische Figuren wie Salti. Bei den Parkour-Traceuren sind diese verpönt, da es ihnen darum geht, Hindernisse möglichst effizient zu überwinden.
Letzteres ist schließlich Teil der Parkour-Philosophie: Das Prinzip, Hindernisse effizient zu überwinden, ist für Traceure auf das reale Leben übertragbar und soll ihnen helfen, auch dort geeignete Problemlösungsstrategien zu entwickeln.
Wozu ein gut trainierter Traceur fähig sein kann, war im James-Bond-Film "Casino Royale" zu bewundern: Die rasante Verfolgungsjagd im Parkour-Stil, die Auftakt des Streifens bildete, dürfte den Bekanntheitsgrad der Sportart weiter erhöht haben. Sprünge und andere halsbrecherische Bewegungen, die im Film so leicht und scheinbar mühelos aussehen, sind das Ergebnis eines langen und intensiven Trainings.
Körperliche und mentale Fitness erleichtern den Einstieg
Anfängern und Einsteigern empfehlen die Buchautoren Witfeld, Gerling und Pach, allesamt selbst langjährige Traceure, mit Lauftraining beziehungsweise Joggen zu beginnen, um damit eine Grundlagenausdauer zu schaffen. Außerdem gehören Krafttraining und Dehnungsübungen zu den Voraussetzungen für Parkour und zu jeder Trainingseinheit.
Zum Ausbau der mentalen Voraussetzungen für Parkour raten manche Traceure zudem vorbereitend zu mentalen Trainingsformen wie Autogenem Training, Gi Gong oder Tai Chi. Ansonsten braucht der künftige Traceur nichts weiter als bequeme Kleidung und Schuhe.
Parkour kann zwar auch alleine erlernt und praktiziert werden. Denn es gibt keinen Trainer, der Bewegungsmuster vorgibt. Vielmehr geht es darum, sich selbst mit einem Hindernis auseinanderzusetzen, die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen und die beste Bewegung zu entwickeln, um das Hindernis zu überwinden. Gerade Anfänger profitieren jedoch davon, sich einer Parkour-Gruppe anzuschließen, die es in Deutschland inzwischen in jeder größeren Stadt gibt.
In der Gruppe von anderen Traceuren lernen
Dort können sie sich - immer nach einer Aufwärmphase, versteht sich - Grundtechniken wie Rolle, Katzen- oder Präzisionssprung von erfahrenen Traceuren zeigen lassen, die gut eingeübt sein sollten und auf niedrigem Niveau beginnen.
Mit Sprüngen zum Boden sollten Anfänger beispielsweise aus sehr geringer Höhe beginnen und sich Landetechniken aneignen, um das Verletzungsrisiko niedrig zu halten. Es gilt die Faustregel, zumindest in der Anfangszeit nicht tiefer zu springen, als im Stand hochgesprungen werden kann. Die Gruppe hat auch den Vorteil, dass das Training mit anderen motiviert und mehr Spaß macht.
Parkour verbessert nicht nur Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordinationsvermögen, sondern hat auch getreu der Parkour-Philosophie positiven Einfluss auf mentale Fähigkeiten. Dem Training wird beispielsweise eine Steigerung des Konzentrations- und Durchhaltevermögens nachgesagt.
Außerdem macht Parkour kreativ, wie bereits 2004 in einer Studie am Karlsruher Institut für Technologie nachgewiesen wurde, und lehrt, eigene Fähigkeiten einzuschätzen sowie mit Ängsten positiv umzugehen. Kein Wunder also, dass Sportlehrer die Bewegungstechnik zunehmend für den Schulunterricht entdecken.
Schwere Verletzungen bei Parkour selten
Angst um ihren Nachwuchs müssen Eltern, die Parkour aus spektakulären Filmszenen kennen, deshalb nicht haben. Denn schwere Verletzungen sind unter Traceuren eher selten. Das belegen Studien zum Verletzungsrisiko von Parkour-Anhängern, zum Beispiel der Universitätsklinik Würzburg, wo der Orthopäde und Unfallchirurg Kai Fehske mit Kollegen über Internetforen und soziale Netzwerke Informationen über den Trendsport und sein Verletzungsrisiko gesammelt hat. Über 500 junge Traceure um die 20, zu 92 Prozent Männer, hatten Fragebögen zu Parkour ausgefüllt.
Zwar kommt es durchaus zu Verletzungen. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um Prellungen, Verstauchungen, Bänderdehnungen und Schnittverletzungen, während Brüche oder innere Verletzungen laut Angaben der Studienteilnehmer selten waren.
Hautschürfungen häufigste Parkour-Verletzung
Das bestätigt eine weitere Studie am Institut für Arbeitsmedizin der Charité. Auch dabei wurde mit einem Fragebogen gearbeitet, den 266 Traceure ausfüllten. Demnach trägt ein Traceur durchschnittlich knapp zwei Verletzungen pro Jahr davon, wobei Hautschürfungen mit über 70 Prozent am häufigsten genannt wurden. Vergleichsweise häufig waren zudem Muskelverletzungen mit gut 13 Prozent, Verrenkungen mit sechs Prozent sowie Kapsel-, Band- und Sehnenverletzungen mit rund fünf Prozent.
Als Bewegungselement mit dem größten Verletzungsrisiko identifizierten die Forscher der Charité Landungen, bei denen sich rund 60 Prozent aller Verletzungen ereignen. Häufigste Ursachen sind laut der Studie Selbstüberschätzung und Übermut mit einem Anteil von 23 Prozent sowie Fehleinschätzungen der Übung mit 20 Prozent.
"Parkour stellt sich als urbane Bewegungsform dar, bei der – anders als vermutet – die überwiegende Anzahl der Verletzungen trotz zumeist fehlender Schutzmaßnahmen weder schwer noch häufig ist", schlussfolgern die Studienautoren.
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Expertenrat NeurologieFaszikulieren, besonders in den Fußzehen. Ständige Anspannung im...13.08.2013 | 01:39 Uhr
Hallo, in einem anderen Forum habe ich damals folgende Frage gestellt: Ich weiß nicht mehr... mehr...