Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT)
Mit der extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) können mit kurzen und sehr energiereichen Schallimpulsen Nieren- und Harnsteine zertrümmert werden. Orthopäden behandeln damit Kalkschulter, Fersensporn oder Beschwerden der Sehnen.
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Die Stoßwellen, die bei der extrakorporalen Stoßwellentherapie, kurz ESWT, eingesetzt werden, sind – physikalisch betrachtet - besonders kurze Schallimpulse, die sehr energiereich sind. Im Gegensatz zur Ultraschallwelle steigt bei Stoßwellen der Druck kurz und schlagartig an; nicht selten wird dabei ein Spitzendruck von etwa 500 Bar erreicht.
Zur Behandlung von Nierensteinen, Harnleitersteinen, Speichel- und Gallengangssteinen setzt man die Schallwellen bereits seit Anfang der 1980er Jahre mit großem Erfolg ein. Das Verfahren heißt hier extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL). Schon in vielen Fällen konnte man dadurch auf eine Operation verzichten.
Seit den 1990er Jahren werden die Stoßwellen auch in der Orthopädie angewandt - als Form der Behandlung von Weichteilbeschwerden. Beispielsweise lassen sich damit Verkalkungen im Schulterbereich (Kalkschulter) oder an der Ferse (Fersensporn) auflösen und auch Sehnen- und Sehnenansatzbeschwerden behandeln.
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So funktioniert die Stoßwellentherapie
Stoßwellen eignen sich besonders gut zur Behandlung von genau lokalisierbaren, punktförmigen Schmerzen und Beschwerden. Damit die Schallwelle ungehindert von außen durch das Gewebe an den Beschwerdepunkt gelangen kann, wird ein Kontaktgel auf das betreffende Hautareal aufgetragen.
Prinzipiell ist die Ausbreitung, Geschwindigkeit und Reichweite einer Stoßwelle von der Dichte der Materie abhängig, in der sich die Stoßwelle ausbreiten soll. Entscheidend für die Energiefreisetzung und letztendlich die Wirkung ist der so genannte Dichteunterschied zwischen den verschiedenen Gewebearten im menschlichen Körper. Man kann zwischen flüssigen Gewebearten wie Blut, Fett und Muskel und festen Gewebearten wie Kalk, Nieren- oder Gallensteinen und Knochen differenzieren. Kommt nun eine Stoßwelle an der Grenze zwischen zwei unterschiedlich dichten Gewebearten an, wird durch das Ausbreitungshindernis die Energie dieser Stoßwelle dort freigesetzt.
Für den medizinischen Einsatz stehen unterschiedliche Verfahren zur Erzeugung von Stoßwellen zur Verfügung. Bei allen Verfahren werden die Stoßwellen außerhalb des menschlichen Körpers (extrakorporal) gebildet. Es kommen je nach Beschwerden niedrigenergetische oder hochenergetische Stoßwellen zum Einsatz. Die Anzahl der Druckimpulse pro Minute kann angepasst werden. Eher niedrige Frequenzen (etwa 100 pro Minute) dienen zur Zertrümmerung von Nierensteinen. Bei Beschwerden des Bewegungsapparates kommen je nach Indikation Frequenzen zwischen 60 und 300 pro Minute zum Einsatz.
Bei der fokussierten Stoßwellentherapie (f-ESWT) können die erzeugten Stoßwellen sehr präzise auf einen bestimmten Punkt ausgerichtet werden. Die radiale (oder radiäre) Stoßwellentherapie (r-ESWT) schickt die Stöße über einen Schallkopf direkt auf die Haut, von wo sich die Druckwellen in das Gewebe ausbreiten.
Wirkung der Stoßwellentherapie
Anders als bei Ultraschallwellen wird bei Stoßwellen nicht nur thermische, sondern auch kinetische Energie freigesetzt, die therapeutisch genutzt wird. Die Stoßwelle besitzt zwei unterschiedliche Anteile, eine Druck- und eine Zugwelle. Die Druckwelle komprimiert das umliegende Gewebes und setzt darüber hinaus Energie frei, die zur Auflösung der Gitterstruktur von Molekülen führt. Der zweite Anteil, die Zugwelle, mit vergleichsweise geringerem Druck presst Gasblasen innerhalb von Kalkstrukturen zusammen. Diese Gasblasen dehnen sich nach Abklingen der Stoßwelle wieder aus, wodurch die verkalkten Strukturen destabilisiert werden - was therapeutisch ja erwünscht ist.
Die Stoßwelle regen also Strukturveränderungen in Kalkablagerungen an; die verbleibenden kleinen Splitter werden dann physiologisch abgebaut.
Neben der mechanischen Wirkung sollen die Stoßwellen zudem stimulierend auf das Knochenwachstum sein. Die Durchblutung wird angeregt, neue Blutgefäße werden gebildet, der Stoffwechsel im Gewebe erhöht. Durch diese Prozesse wird die Selbstheilung von Sehnen- und Bindegewebe angeregt, Schmerzen reduziert und die Regeneration gefördert.
Anwendungsgebiete der Stoßwellentherapie
In der Urologie hat sich die ESWT als nichtinvasives verfahren zur zur Zertrümmerung von Nieren- und Harnsteinen bewährt. Die Steine dürfen dabei jedoch in der Regel nicht größer als zwei Zentimeter im Durchmesser haben und die Ausspülung der Steintrümmer über die Hranleiter muss gewährleistet sein.
Die Stoßwellentherapie wird darüber hinaus bei verschiedenen Erkrankungen und Beschwerden des Bewegungsapparates eingesetzt. Dazu gehören:
- nicht heilende Knochenbrüche (sogenannte Pseudarthrose),
- Verkalkungen der Rotatorenmanschette der Schulter - Kalkschulter (der medizinische Fachbegriff dafür ist "Tendinosis calcarea"; die Rotatorenmanschette ist ein haubenförmiges Dach über dem Oberarmkopf, das von zahlreichen Muskeln gebildet wird),
- Tennisarm oder Golferarm (Epikondylopathia radialis oder Epikondylopathia ulnaris),
- chronische Schulterschmerzen, insbesonder Schultersehnen-Beschwerden (Tendinose der Rotatorenmanschette),
- chronische Achillessehnenreizung (Achillodynie),
- Entzündungen der Sehnenplatte der Fußsohle (Faszitiis plantaris) mit und ohne Fersensporn
- chronische Sehnenentzündungen im Bereich des großen Rollhügels am Oberschenkel,
- Knochennekrosen (abgestorbener Knochen oder Knochenabschnitt)
- Osteochondrose (Wachstumsstörung des Knochens)
- Reizungen der Patellarsehne (dem sogenannten Patellaspitzensyndrom)
So läuft die Stoßwellen-Behandlung ab
Um einzuschätzen, ob die ESWT sich für den Betroffenen mit seinem Beschwerdebild eignet, beurteilt der Arzt zunächst Röntgen: Wie läuft die Untersuchung mit Röntgenstrahlen ab? (die nicht älter sein sollten als drei Monate), auch die Aufnahmen von einer MRT (Kernspinuntersuchung) oder Computertomographie), und/oder Szintigraphie.
Außerdem sollten in einer Blutprobe die Werte für die Blutgerinnung bestimmt werden. Unter Umständen wird eine neurologische Untersuchung veranlasst.
Die Behandlung als solche ist nicht besonders aufwändig. Der Arzt positioniert entsprechend den Befunden der Ultraschall- oder Röntgenuntersuchung in der Vorbereitungsphase das Stoßwellengerät auf die krankhafte Region. Je nach angewendeten Verfahren (fokussierte oder radiale ESWT) wir das Gerät währen der Behandlung leicht bewegt oder auf dem vorher festgelegtem Behandlungsgebiet belassen. Die Stoßwellen durchfluten das Gewebe nicht selten mit bis zu 2.000 Impulsen in kurzen Zeitabständen. Der Patient nimmt diese als akustische Geräusche, Vibrationen im Körper und mitunter Schmerzen wahr.
Mehrere ESWT-Sitzungen notwendig
Die Stoßwellentherapie wird mehrmals durchgeführt. Empfohlen werden zwei bis fünf Sitzungen, jeweils im Abstand von ungefähr einer Woche. je nach Art der Beschwerden und des behandelten Körperteils dauert eine Sitzung zwischen fünf und 30 Minuten.
Bei Behandlungen mit Stoßwellen von geringer Energie, wie sie zum Beispiel am Ellenbogen gemacht werden, ist eine örtliche Betäubung nicht unbedingt erforderlich. Nur bei der Therapie mit hochenergetischen Stoßwellen, wie sie bei bei Verkalkungen an der Schulter eingesetzt werden, erhält der Betroffene häufig eine örtliche Betäubung. Denn es kommt zu Beginn der Behandlung zu kleinen, stichartigen Schmerzen.
Bei mehreren Sitzungen tritt im Lauf der Zeit ein Gewöhnungseffekt auf, so dass die Schmerzbetäubung meist nicht mehr notwendig ist.
Erfolgskontrolle nach zwölf Wochen
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Ein Heilungseffekt ist in der Regel nicht sofort nach der Behandlung spürbar, sondern erst nach einiger Zeit. Etwa zwölf Wochen nach der letzten Stoßwellentherapie ist eine
Nachuntersuchungangebracht, bei dem der Arzt den Erfolg der Therapie kontrollieren wird.
Bei den meisten orthopädischen Erkrankungen sind neben der Stoßwellentherapie auch eine physiotherapeutische Behandlung notwendig, damit die Behandlung den erwünschten Erfolg bringt. Dadurch wird einerseits die Beweglichkeit in den behandelten Gelenken gestärkt und andererseits auch die Muskulatur im den schmerzenden Bereichen.
Nebenwirkungen der Stoßwellentherapie
Auch nach langjährigen, ausführlichen Untersuchungen konnte man keine erheblichen Nebenwirkungen der Stoßwellentherapie feststellen. Oft spüren Patienten während der ersten Sitzung Schmerzen, vor allem, wenn entzündliche Sehnenansätze vorhanden sind. Diese Schmerzempfindungen geben sich jedoch in den darauffolgenden Sitzungen.
Schmerzen, Schwellungen
Nach der Stoßwellenbehandlung kann es zu Blutergüssen, oberflächlichen Hauteinblutungen, Hautrötungen, sowie Schwellungen kommen. Bei manchen der Behandelten verstärkt sich der Schmerz kurzfristig; spätestens am zweiten Tag sollte dann eine Besserung spürbar sein.
Lindern kann man die Nebenwirkungen durch Kühlung oder einen Salbenverband. Zu den oben aufgeführten Folgen kommt es allerdings äußerst selten. Mit schwerwiegenden, behandlungsbedürftigen Komplikationen ist nach einer Stoßwellentherapie nicht zu rechnen.
In der Regel ist eine Krankschreibung nicht erforderlich; die meisten beruflichen Tätigkeiten können ohne Unterbrechung ausgeübt werden.
Wann ist die Stoßwellentherapie nicht geeignet?
Keine Stoßwellentherapie sollten Menschen mit Blutgerinnungsstörungen erhalten, ebenso solche, die mit Phenprocoumon (Marcumar®) behandelt werden. Manchmal ist es jedoch möglich, Phenprocoumon durch andere Medikamente zu ersetzen, um eine Stoßwellentherapie doch zu ermöglichen.
Herzschrittmacher gehört zu den Ausschlusskriterien für ESWT
Nicht geeignet ist die Stoßwellentherapie außerdem für Tumorpatienten, Schwangere, Menschen mit einem Herzschrittmacher und Personen mit Infektionen im geplanten Behandlungsgebiet. Auch nahe der Wirbelsäule, am Schädel, in der Nähe großer Nervenstränge und Blutgefäße sowie innerer Organe wie der Lunge sowie sollen Stoßwellen nicht angewandt werden
Für Kinder und Schwangere wird die Stoßwellentherapie bislang nicht empfohlen, zumal man bei diesen noch kaum Erfahrungen hat, wie sie auf die Behandlung ansprechen und inwiefern mit unerwünschten Begleiterscheinungen oder gar Schädigungen zu rechnen ist.
Kostenerstattung: Was zahlt die Krankenkasse?
Zur Behandlung von Nieren- und Harnsteinen ist die Stoßwellentherapie als ESWL medizinischer Standard und wird von den Krankenkassen bezahlt.
Bei verschiedenen Beschwerdebildern des Bewegungsapparates sieht dies jedoch anders aus. Zwar zeigten wissenschaftliche Arbeiten und klinische Studien, dass Erkrankungen des Bewegungsapparates auf die extrrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) gut ansprechen. Jedoch bemängelt der IGeL-Monitor, welcher über individuelle Gesundheitsleistungen informiert, dass es keine verlässlichen, wissenschaftlichen Beweise für die Wirksamkeit des Verfahrens und für die Überlegenheit gegenüber anderen Therapien wie zum Beispiel physiotherapeutische Maßnahmen oder Medikamenten gibt. Für die Stoßwellentherapie bei der Kalkschulter zum Beispiel gebe es zwar Hinweise auf einen erheblichen Nutzen der Behandlung, jedoch sei die Studienlage nicht befriedigend.
Deshalb müssen Patienten die ESWT heute bei orthopädischen Indikationen in der Regel selbst bezahlen. Eine Sitzung kostet je nach Verfahren und Praxis zwischen 15 und 250 Euro.
Dabei gibt es erhebliche Unterschiede: Die radiale Stoßwellentherapie ist wesentlich preiswerter (zwischen 15 und 40 Euro) als die oft effektivere fokussierte Stoßwellentherapie Meist sind zwischen zwei bis fünf Sitzungen im Abstand von ein bis zwei Wochen notwendig.
Für Betroffene lohnt es sich unter Umständen jedoch, bei der Krankenkasse wegen einer Kostenübernahme nachzufragen, wenn konservative Behandlungen (Schmerzmedikamente, Physiotherapie, physikalische Behandlung) keine Linderung der Beschwerden gebracht haben und man einer Operation trotzdem aus dem Weg gehen will.
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