Interview

Naturheilkunde: Wenn die "übliche Medizin nicht weiterkommt"

Laien verbinden mit der Naturheilkunde manchmal eine esoterisch angehauchte, alternative Gesundheitslehre. Doch im Gegenteil: Die Naturheilverfahren sind fester Bestandteil der westlichen Medizin. Welche es gibt und bei welchen Beschwerden man besser die Finger von ihnen lässt, erklärt Professor André-Michael Beer im Interview. Er ist Direktor der Klinik für Naturheilkunde an der Klinik Blankenstein, die zum Katholischen Klinikum Bochum gehört.

Frau entspannt nach Massage
© iStock.com/NKS_Imagery

Herr Professor Beer, was ist gemeint, wenn man von Naturheilkunde spricht?

Naturheilkunde ist ein eigenes Fachgebiet innerhalb der Schulmedizin. Sie hat sich seit mehr als 300 Jahren kontinuierlich durch Ärzte und medizinische Laien entwickelt. Es begann damit, dass man zunächst Wasseranwendungen durchgeführt hat, nach und nach kamen die Ernährung, Phytotherapie, Bewegungstherapie, Massagen sowie die Ordnungstherapie* hinzu. Die Naturheilkunde ist ein gewachsenes Lehrfach, das heute auch an deutschen Universitäten pflichtmäßig gelehrt wird.

Wie grenzt sich davon die alternative Medizin ab?

Den Begriff der alternativen Medizin haben wir nicht so gern, weil er ja bedeutet, dass etwas nur als Alternative fungiert. Um eine Erkrankung beim Patienten zu behandeln, nimmt der Arzt aber das "Best-of" der Therapiemöglichkeiten. Bei einer Hauterkrankung beispielsweise kann das Kortison sein, aber auch pflanzliche Substanzen oder Homöopathie. Alternativ würde heißen: Nur das eine ohne das andere. Und das ist in der Medizin nie der Fall – es wird immer das Beste genommen, das zur Verfügung steht.

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Wie ist die Homöopathie einzuordnen?

Die Homöopathie ist ein eigenständiges Medizinsystem, das mit den klassischen Naturheilverfahren nicht gemeinsam gewachsen ist. Das Dogma der Naturheilbewegung war die arzneilose Medizin. Man hat jede Arzneitherapie als Gift, das dem Körper zugeführt wird, angesehen – auch die Homöopathie. Sie hat sich parallel zu den klassischen Naturverfahren entwickelt, zählt aber heute zur Naturheilkunde, ganz klar!

Bei welchen Krankheiten ist die Naturheilkunde besonders erfolgreich?

Grundsätzlich kann die Naturheilkunde bei allen funktionellen Erkrankungen, bei denen die übliche Medizin nicht weiterkommt, sehr hilfreich sein. Also bei Reizdarm, Reizmagen, Muskelerkrankungen wie Fibromyalgie, Arthrose, vegetativen psychischen Störungen, Überlastungssyndromen, leichten Formen der Depression, chronischen Unterbauchschmerzen, Kopfschmerzen: Es gibt einige Krankheitsbilder, bei denen man mit den rein schulmedizinischen Methoden nicht weiterkommt. Dafür gibt es innerhalb der Schulmedizin die Naturheilkunde. Warum sollte ich einem Patienten starke Schmerzmittel geben, sofern es mit pflanzlichen Arzneimitteln auch nebenwirkungsarm geht?

Gibt es Symptome, an die man sich mit naturheilkundlichen Verfahren nicht heranwagen sollte?

Ja. Immer dann, wenn die konventionelle Medizin Therapien hat, die besser wirksam sind als die Naturheilkunde, zum Beispiel die Notfallmedizin. Aber immer, wenn die "offizielle" Medizin nicht leitliniengerecht weitermachen kann, weil sie keine Methoden mehr zur Verfügung hat, dann bieten sich naturheilkundliche Therapien an.

Naturheilkunde in der Hausapotheke: Praktische Tipps

Was raten Sie Patienten, die ihre rein konventionelle Therapie gerne mit naturheilkundlichen Methoden ergänzen möchten? An welchen Arzt können sie sich wenden?

Klassische Naturheilverfahren sind bundesweit fest im Lehrplan der Medizinstudenten verankert. Daher sollte eigentlich jeder Arzt über diese Möglichkeiten Bescheid wissen. Trotzdem gibt es Ärzte, die sich spezialisieren und die Zusatzqualifikation "Naturheilverfahren" erwerben. Das schreiben die Ärzte dann entsprechend auf ihr Praxisschild. Patienten sollten sich daher einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren" suchen.

Professor André-Michael Beer
© Klinikum Bochum/PR

Können Sie zum Abschluss noch Tipps geben, was aus naturheilkundlicher Sicht in die Hausapotheke gehört?

In der Homöopathie gibt es zum Beispiel die Taschenapotheken, mit deren Mitteln man bei bestimmten Krankheitsbildern sehr gut helfen kann. Homöopathisch sollte man immer Arnica in einer D6 oder D12 in der Tasche haben, zum Beispiel für Verletzungen. Gegen Sonnenbrand gehören anthroposophische Mittel ins Gepäck wie Combudoron-Gel, eine spezielle Mischung aus Pflanzenwirkstoffen. Wenn man etwa in ein Land fährt, in dem andere Essgewohnheiten herrschen, ist es ratsam, ein pflanzliches Arzneimittel für den Darm mitzunehmen, etwa Iberogast, eine Acht-Komponenten-Mischung aus pflanzlichen Substanzen. Das sind so die wichtigsten Dinge.


*Bei der Ordnungstherapie liegt der Fokus auf der Gestaltung eines gesundheitsförderlichen Lebensalltags, zum Beispiel durch Entspannung und Psychohygiene.

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