Homöopathische Anamnese

Interview: So finden homöopathische Ärzte das richtige Arzneimittel

Wer sich schon einmal mit homöopathischen Medikamenten beschäftigt hat, dem ist bestimmt die riesige Bandbreite an Wirkstoffen aufgefallen. Wie wählen homöopathische Ärzte da genau das richtige Arzneimittel für den Patienten aus? Internist und Homöopath Dr. Ulf Riker erklärt im Interview, welche Schritte dafür nötig sind.

Anamnese
© iStock.com/SARINYAPINNGAM

Herr Dr. Riker, wie unterscheidet sich die Anamnese in der Homöopathie von der in der Schulmedizin?

Die Schulmedizin verfolgt einen kausalanalytischen Ansatz, die Homöopathie legt dagegen Wert auf eine phänomenologische Sicht. Also: Welche Phänomene oder Beschwerden beobachtet der Patient an sich selbst? Meiner Meinung sollten diese beiden Sichtweisen aber nicht getrennt sein, sie gehören zusammen.

Homöopathie: Wichtige Arzneimittel und ihre Wirkung

Wie wichtig sind die Beschreibungen des Patienten?

Sehr wichtig! Nur, wenn der Patient beobachten und in seinen Worten beschreiben kann, welche Beschwerden er hat, kann der Homöopath das richtige Mittel finden. Daher ist es auch wichtig, den Patienten zu ermuntern, möglichst genau zu erklären, wie er die Krankheit wahrnimmt, und ihm gegebenenfalls Beispiele als Hilfestellung zu geben.

Die fünf Aspekte der homöopathischen Anamnese

Wenn Sie einen neuen Patienten aufnehmen, wie gehen Sie dann bei der Anamnese vor?

Es gibt fünf Aspekte in der Anamnese, die jeder Homöopath abfragen muss:

  1. Wo sind die Beschwerden?
  2. Wie spürt der Patient die Beschwerden?
  3. Wodurch werden die Symptome spontan besser oder schlechter?
  4. Welche Begleitsymptome gibt es?
  5. Gibt es eine Ursache für die Beschwerden?

Alle Antworten des Patienten bilden dann eine Art Mosaik, mit dem wir Homöopathen auf das richtige Mittel schließen können. Leider haben die Patienten oft Schwierigkeiten, die Fragen ausreichend zu beantworten.

Was bereitet den Patienten dabei die größten Probleme?

Die erste Frage nach dem "Wo", dem Ort der Beschwerden, können die meisten noch leicht beantworten. Allerdings ist auch hier wichtig, zu wissen, wo genau die Symptome verortet sind, ob sie großflächig auftreten oder sich ausbreiten. Dann nämlich ist "von wo bis wo" die richtige Frage.

Wenn ich vom Patienten dann aber wissen will: "Wie empfinden Sie die Beschwerden?", haben viele keine Antwort darauf. Oft gebe ich dann Hilfestellungen mit Beschreibungen wie pochender, pulsierender, heller, dunkler, stechender, zusammenpressender oder ähnlicher Schmerz.

Ist die Frage nach dem "Wie" für die Patienten also die am schwierigsten zu beantwortende Frage?

Nein, der dritte Aspekt – die Verbesserung oder Verschlechterung der Symptome – erfordert meiner Erfahrung nach am meisten Selbstreflexion. Für den Homöopathen ist diese Frage aber die allerwichtigste: Werden die Beschwerden beim Liegen, bei Kälte, Wärme, Bewegung oder anderen Modalitäten schlechter oder besser?

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Es ist sehr wichtig, dass die Patienten hier möglichst genau und vollständig antworten, denn anhand dieser Modalitäten lassen sich die passenden homöopathischen Arzneien ein- oder ausschließen. Deshalb ist hier konsequentes Nachfragen und viel Geduld – von Homöopath und Patient – nötig.

Sie haben eingangs noch Begleitsymptome und Ursachen der Beschwerden erwähnt. Welchen Stellenwert haben sie bei der homöopathischen Anamnese?

Um herauszufinden, welches Arzneimittel das richtige ist, müssen auch eventuelle Begleiterscheinungen berücksichtigt werden. Es gibt zum Beispiel verschiedene Medikamente für die Behandlung von Migräne – je nach Begleitsymptom, zum Beispiel Übelkeit, Frösteln oder Durchfall, sind andere Arzneien angezeigt.

Das Gleiche gilt auch für die Ursachen: Wenn die Beschwerden erst nach einer bestimmten Gegebenheit, beispielsweise einer Impfung auftreten, nehmen Homöopathen das mit in die Entscheidung für das richtige Medikament auf. Die Ursache muss plausibel und zeitnah sein.

Die Suche nach der richtigen Arznei kann langwierig sein

Bleibt am Ende der Anamnese genau ein passendes Mittel übrig?

Das ist möglich. Es gibt Fälle, in denen am Ende nur ein Medikament übrig bleibt, es gibt allerdings auch welche mit vielen Alternativen. In solchen Situationen müssen Homöopathen weiter nachfragen. Dabei geht es dann um psychische Aspekte und Allgemeinsymptome wie etwa Schlaf, Essensgewohnheiten oder das Sexualleben.

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Sehr selten ist man mit keinem Arzneimittel richtig zufrieden. Das liegt dann aber meist daran, dass der Homöopath etwas unsauber gearbeitet hat, vielleicht weil er zu unkonzentriert war, oder der Patient nicht detailliert genug beschrieben hat.

Wissen Sie oft schon auf Anhieb, welches Medikament das richtige ist?

Nein, das ist bei der Fülle an homöopathischen Mitteln heutzutage nicht mehr möglich. Es gibt 120 Basisarzneien, die jeder Homöopath kennen sollte. Darüber hinaus helfen Bücher und spezielle Computerprogramme. Aber auch diese Ergebnisse muss man später noch hinterfragen.

Mir passiert es häufig, dass ich die Anamnese, die zum Beispiel bei chronischen Beschwerden bis zu zwei Stunden dauern kann, zwar abgeschlossen habe, aber noch nicht fertig mit der Mittelfindung bin. Oftmals recherchiere ich, nachdem der Patient gegangen ist, noch eine halbe Stunde weiter, bis ich ein Medikament gefunden habe, das auch wirklich passt.

Woran erkennen Sie, ob die von Ihnen verordnete Arznei richtig oder falsch war?

Ob sie richtig war, ist natürlich einfach zu erkennen: Sind die Beschwerden des Patienten besser geworden und hat er beispielsweise auch das Gefühl, mehr Energie oder einen besseren Schlaf zu haben, war meine Wahl richtig.

Fünf homöopathische Sofort-Helfer bei akuten Beschwerden

Lifeline/Wochit

Es kommt aber auch vor, dass nur manche Symptome zurückgehen, andere bleiben oder werden sogar schlechter. In solchen Fällen muss der Homöopath seine Mittelwahl überdenken und ein anderes, geeigneteres Medikament finden.

Das klingt, als müsse der Homöopath eine Arznei nach der anderen ausprobieren.

Das ist bei einem erfahrenen Homöopathen nicht der Fall. Denn der möchte genau wissen, was hinter den Beschwerden steckt und welches Mittel der Patient benötigt. Er möchte seine Wahl begründen können. Die Wahrscheinlichkeit, durch Zufall das richtige Medikament zu verordnen, ist schließlich sehr gering.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Riker!

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