Therapie

Ergotherapie macht fit für den Alltag

Die Ergotherapie ist eine Behandlungsform für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und Handlungsfähigkeit. Sie umfasst alle Formen der Beschäftigungs- und Arbeitstherapien. Ziel der Ergotherapie ist es eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit nach Unfall oder bei Erkrankung zu heilen oder mindestens zu verbessern.

Frau sitzt mit Physiotherapeuten bei der Ergotherapie
© iStock.com/Dean Mitchell

Die Ergotherapie (von altgriechisch ἔργον [érgon] "Werk" oder "Arbeit" und θεραπεία [therapeía] "Dienst" oder auch "Behandlung") ist eine Therapieform in der Medizin, die zur Behandlung einer Handlungsunfähigkeit oder -einschränkung angewendet wird, um im Idealfall zur normalen Mobilität oder Fertigkeit zurück zu finden. Da das Spektrum der Behandlungsmethoden und -ziele sehr umfangreich ist, ist eine Definition für den Begriff der Ergotherapie nur schwer zu finden. Der Deutsche Verband der Ergotherapeuten (VDE) nennt diese Erklärung:

Definition: Was ist eigentlich Ergotherapie?

"Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Ziel ist, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen."

Bis in die 1970er Jahre wurde der Mensch von den Ergotherapeuten als mechanisches Konstrukt betrachtet: Eine Person definiert sich durch die Summe ihrer Körperstrukturen und deren Funktionalität. Liegt eine Störung in einem der drei Lebensbereiche Selbstversorgung (Kochen, Waschen, Putzen), Freizeit (Spiel, Sport, Spaß) oder Produktivität (Arbeit, Kreativität) vor, wurde die Lösung des Problems in der Beseitigung des körperlichen Defizits gesucht. Die heutige Ergotherapie hingegen verfolgt einen ganzheitlichen (holistischen) Ansatz, in dem der Mensch als Summe von viel mehr Faktoren und als ein offenes System betrachtet wird, der in engem Austausch mit der Umwelt steht und deren Einflüsse nicht nur den Körper, sondern auch den Geist betreffen. Unter dieser Betrachtungsweise erhielten Elemente der Psychotherapie ihren Einzug in die Behandlungsmethoden der Ergotherapie.

Wer braucht Ergotherapie?

Ergotherapie ist für alle Menschen gedacht, die aufgrund von Erkrankung oder Verletzung im täglichen Leben gehandicapt sind. Das Spektrum reicht also von der klassischen Wiederherstellung der Mobilität, etwa bei einem Erwachsenen nach einem Beinbruch, bis hin zu Entspannungsübungen für psychisch auffällige Kinder, die beispielsweise unter emotionalem Stress eine Spastik in der Schreibhand entwickeln. Ergotherapie ist ein Deutschland anerkanntes Heilmittel und für alle Altersgruppen und eine Vielzahl von Krankheitsbildern (Indikationen )geeignet. Die häufigsten Einsatzgebiete der Ergotherapie sind:

Ergotherapie für Kinder

Die Ergotherapie bei Kindern kümmert sich um die Wiederherstellung gestörter körperlicher Funktionen und Fähigkeiten, die das Kind in der Entwicklung zu einem selbstständigen, handlungsfähigen Erwachsenen hindern oder dabei teilweise einschränken.

Kind bei der Ergotherapie zur sensomotorischen Therapie
© iStock.com/IvanJekic

Gemäß dem holistischen Ansatz überschneiden sich die Behandlungskonzepte der modernen Ergotherapie mit Therapiemaßnahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Kinderpsychologie.

Mögliche Indikationen für die Ergotherapie bei Kindern:

  • motorische Störungen mit neurologischen Ursachen, wie Spastiken oder Anfallsleiden
  • sensomotorische Störungen, wie Koordinationsschwierigkeiten beim Ballspiel oder beim Schreiben
  • Wahrnehmungsstörungen, wie räumliches Denken
  • Sozialentwicklungsstörungen, wie bei der Beziehungs- oder Bindungsfähigkeit
  • psychische Erkrankungen, die so nur bei Kindern vorkommen, wie ADHS, Autismus oder bestimmte Essstörungen
  • Sinnesstörungen, wie Blindheit oder Taubheit

Nur eine intensive Analyse des Entwicklungsstands des Kindes kann zur richtigen Diagnose und der passenden Therapie führen: Die Ergotherapie gibt keine altersbezogenen Handlungsempfehlungen vor, sondern orientiert sich stets an der tatsächlichen Situation des Kindes. In der Praxis bedeutet dies, dass ein Vorschulkind mit der Sprachentwicklung eines Dreijährigen auch wie ein Dreijähriger behandelt werden muss, da ihn eine eigentlich altersgemäße Therapie überfordern würde.

Während in der Medizin meist das Behandlungsziel "Heilung" idealisiert wird, kann in der Ergotherapie meist nur eine Verbesserung der Patientensituation als realistisches Therapieergebnis anvisiert werden, da sich die ursächliche Störung oftmals nicht komplett beheben lässt. So sind die allgemeinen Ziele einer Ergotherapie im Einzelnen:

  • Physische Verbesserungen: Bewegungsabläufe, Körperspannung und Koordinationsfähigkeit
  • Mentale Verbesserungen: Merkfähigkeit und Konzentrationssteigerung
  • Sensorische Verbesserungen: Sinneswahrnehmung und die Verarbeitung dieser Reize
  • Psychische Verbesserungen: Motivation, Neugier und Selbstvertrauen
  • Integrative Verbesserungen: Das Leben in der Familie und der unmittelbaren Umwelt wird unter Berücksichtigung der körperlichen Defizite neu erlebt

Alle diese Einzelziele sollen dann ein Ganzes ergeben und zur größtmöglichen Selbstständigkeit im Alltag des Kindes führen, also in Kindergarten, Schule, Familie und Freizeit. Die Maßnahmen einer Ergotherapie, sowie die Durchführung der Therapie selbst, kann in geeigneten Kindertageseinrichtungen von (Sonder-)Schule über Frühförderstelle bis hin zu Reha- und Fachkliniken und in Ergotherapie-Praxen erfolgen. Für den Erfolg der Behandlung ist eine Verknüpfung all dieser Stellen unverzichtbar, da der ganzheitliche Behandlungsansatz sich nicht auf einen Lebensausschnitt bezieht, sondern in jeder Situation des Alltags eine Verbesserung herbeiführen soll.

Ergotherapie in der Neurologie

Wie der Name schon verrät, geht es hierbei um eine ergotherapeutische Behandlung der Folgen von neurologischen Erkrankungen, sowohl von akuten Ereignissen. wie etwa Lähmungen (Paresen) nach einem Schlaganfall, als auch von chronischen Verläufen, wie bei einer multiplen Sklerose, Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder Parkinson.

Physiotherapeut trainiert Unteschenkel einer Frau mit Hemiparese nach Schlaganfall
© iStock.com/kali9

In Bereich der Neurologie kann mit Ergotherapie beispielweise behandelt werden:

  • Abnormale Körperhaltung
  • Abnormale Bewegungsabläufe
  • Reizbewertung
  • Gestörte Grob- und Feinmotorik
  • Gestörtes Gleichgewicht
  • Neuropsychologische Defizite, wie Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Merkfähigkeitsstörungen
  • Atemprobleme, wenn sie nicht durch die Lunge sondern das Zwerchfell oder die Atemhilfsmuskulatur bedingt sind
  • Koma und komatöse Zustände (Somnolenz, Sopor)

Ergotherapie bei körperlichen Einschränkungen

Ergotherapie kann im Bereich der Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie eingesetzt werden, wenn es um die Wiederherstellung der Mobilität geht, die durch Unfall, Verschleiß oder degenerative Erkrankungen eingeschränkt ist.

Ergotherapeutin übt das Laufen an Gehhilfen / Krücken mit einer jungen Patientin
© iStock.com/mumininan

Zielgruppe dieser Behandlung sind Menschen mit traumatischen Verletzungen, also vom Knochenbruch bis hin zur Amputationsverletzung, Querschnittsgelähmte, Personen mit angeborenen Gliedmaßenfehlbildungen (Dysmelien), wie etwa Contergangeschädigte, aber auch Rheumatiker, deren entzündete, schmerzende Gelenke die Bewegungen einschränken.

Der wesentliche Therapieansatz sind körperliche Übungen, die die motorische Funktion erhalten oder neu aufbauen soll. Zusätzlich kann der Umgang mit Hilfsmitteln, wie Gehstock oder Rollator, im Rahmen der Ergotherapie erlernt werden.

Ziel dieser funktionalen Bewegungstherapie innerhalb des ergotherapeutischen Spektrums ist der maximale Mobilitätsgewinn für den Alltag, um ein selbstständiges Leben im gewohnten Umfeld weiterhin zu ermöglichen.

Ergotherapie in der Geriatrie

In diesem Gebiet der Ergotherapie kommen alle Fachbereiche der Medizin zusammen, also Orthopädie, Chirurgie, Neurologie, Psychiatrie, selbst innere Medizin und so weiter. Verbindendes Element in diesem Fachbereich ist das Alter der Patienten: Hier nimmt der Therapeut besonderen Bezug auf die Lebensumstände und die besonderen Bedürfnisse der Generation 70+.

Älterer Mann baut Turm aus Holzklötzchen in der Ergotherapie
© iStock.com/FredFroese

Die Anwendungen in der geriatrischen Ergotherapie sind mehr als nur eine Beschäftigungsmaßnahme. Auch wenn viele Elemente spielerisch wirken mögen, so ist der pädagogische Charakter der Übungen zwar mit kindlichem Spiel vergleichbar, aber nicht um die Fähigkeiten neu zu erlernen, sondern um sich diese Fähigkeiten im Alter zu erhalten. Dies wirkt nicht nur auf den Körper, sondern stimuliert auch den Geist. So bewirkt die Ergotherapie für ältere Menschen den Erhalt der Selbständigkeit im Alltag: Die Fähigkeit, sich selbst alleine versorgen zu können oder das Training im Umgang mit Hilfsmitteln wie Gehstock oder Greifer trägt zur Steigerung der Lebensqualität bei.

Ergotherapie in der Psychiatrie und Psychologie

Mit Ergotherapie lässt sich eine psychiatrische Erkrankung zwar nicht kurieren, aber sie trägt aktiv zum Genesungsprozess bei. Die Beschäftigung mit eigentlich alltäglichen Dingen wird in einer Depression oder einer Bewusstseinsstörung für die Betroffenen fast unmöglich. In der Ergotherapie lernen sie den Alltag wieder zu meistern und erhalten eine positive Verstärkung durch die Erfolge beim Ausführen der nicht mehr selbstverständlichen Bewegungen innerhalb des Tagesablaufs.

Frau mit Buntstiften und Malbuch erhält Ergotherapie aus psychologischer Indikation
© iStock.com/miriam-doerr

Grundsätzlich soll die Ergotherapie in der Psychiatrie und Psychologie bestimmte mentale und emotionale Zustände zunächst erhalten, bei Defiziten fördern oder nach Verlust wieder in ihrer Neuentwicklung fördern. Dies sind beispielsweise:

  • Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbstständigkeit im Tagesablauf
  • Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und die Verarbeitung dieser Empfindungen
  • Verhalten im sozialen Umfeld
  • Emotionale Stabilität
  • Selbstvertrauen

Welche Methoden gibt es in der Ergotherapie?

In der Ergotherapie werden im Wesentlichen drei Grundmethoden zur Behandlung unterschieden. Sie stellen jeweils drei unterschiedliche Ziele in den Mittelpunkt der Therapie, um Defizite nach Außen und Innen abzubauen oder bestimmte Fertigkeiten zu fördern.

  • Ausdruckszentrierte Methode und Gestaltungstherapie:
    Hier werden Elemente der Musik- oder Kunsttherapie genutzt: Beim eigenen Musizieren oder Tanz zur Musik, beim Basteln oder Handwerken können motorische Fähigkeiten mit Freude wiedererlangt werden. Grundvoraussetzung ist ein musischer Zugang der Patienten, denn es soll kein Instrument neu erlernt werden, aber wenn etwa vor einem Schlaganfall das Klavierspiel ein Hobby war, kann es jetzt zur Therapie werden. Diese Form der Therapie ermöglicht einen sehr emotionalen Zugang zum Patienten.

  • Kompetenzzentrierte Methode:
    Diese Methode ist für die handwerklich begabten Personen bestens geeignet. Die Übungen werden den Bewegungen eines Hobbys, etwa der Gartenarbeit oder einer Sportart nachempfunden. Auch kann ähnlich der Kunsttherapie eine haptische Fähigkeit praktisch ausgeübt werden. Hier wird aber eher aus Hölzern ein Turm gebaut, als eine Skulptur geschnitzt.

  • Interaktionelle Methode:
    Hier lebt die Therapie von der Gruppe und ihrer Dynamik. Die Teilnehmer wirken motivierend aufeinander und setzten sich gemeinsam mit zumindest ähnlichen Problemen auseinander. Beispielsweise bei der Ergotherapie von Suchtpatienten ist diese Therapiemethode geeignet in Form des Gruppengesprächs.

Eine strikte Trennung der Methoden ist allerdings nicht möglich und auch nicht gewollt. In der Ergotherapie sollen alle Bereiche von Körper und Geist angesprochen werden und somit ist die Therapie in sich auch immer facettenreich und beinhaltet meist Elemente aller Methoden.

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