Anthroposophische Medizin
Die Anthroposophische Medizin ist eine medizinische Richtung, bei welcher der Mensch als Individuum im Vordergrund steht. Sie umfasst unter anderem naturphilosophische und religiöse Elemente und bezeichnet sich selbst als Ergänzung der Schulmedizin.
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Anthroposophie wird auch als "Wissenschaft vom Menschen" bezeichnet. Diese betrachtet den Menschen nicht nur aus naturwissenschaftlicher Sicht, sondern berücksichtigt auch seelische und geistige Aspekte.
Der österreichische Philosoph Rudolf Steiner (1865-1925) gilt als der Gründer der anthroposophischen Medizin, die er ab dem Jahr 1920 zusammen mit der Ärztin Ita Wegmann entwickelte.
Was genau ist anthroposophische Medizin?
Die anthroposophische Medizin erkennt naturwissenschaftliche Methoden grundsätzlich an. Anders als in der Schulmedizin werden Krankheiten und Symptome jedoch nicht auf physische Fehlfunktionen reduziert. Die Lehre begreift das Wesen des Menschen als Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist.
Bei der Diagnose und Behandlung von Erkrankungen finden nicht nur die messbaren Befunde, sondern auch die allgemeine Konstitution und die individuelle Lebenssituation des Patienten Beachtung. Generell will die anthroposophische Medizin die Schulmedizin also nicht ersetzen, sondern nur um geisteswissenschaftliche Erkenntnisse und eigene Heilmethoden erweitern.
Der anthroposophischen Medizin zufolge besteht der Mensch aus vier Ebenen (Wesensglieder), die in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Die Ebenen werden als physischer Leib, ätherischer Leib, astralischer Leib und das anthroposophische Ich bezeichnet.
Krankheiten sind demnach Prozesse, die entstehen, wenn die Wechselwirkungen zwischen den Ebenen nicht mehr reibungslos ineinandergreifen können und eine Ebene die Oberhand gewinnt. Jede Krankheit wird entsprechend auf allen vier Ebenen betrachtet und ist in ihrer Ausprägung einzigartig. Aus diesem Grund kann die Therapie einer Erkrankung nie pauschal erfolgen, sondern muss stets individuell auf den Patienten zugeschnitten werden.
Wer behandelt nach den Grundsätzen der anthroposophische Medizin?
In Deutschland praktizieren rund 1.200 niedergelassenen Ärzte mit einer Zusatzausbildung in anthroposophischer Medizin. Die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) geht jedoch davon aus, dass anthroposophische Arzneimittel und Behandlungen von weitaus mehr Ärzten verordnet werden. Schätzungsweise könnten rund 2.000 bis 3.000 Ärzte als "anthroposophisch orientiert" bezeichnet werden.
Die Ausbildung in anthroposophischer Medizin basiert auf dem regulären Medizinstudium sowie der fachärztlichen Weiterbildung. Neben ihrer konventionellen naturwissenschaftlich-medizinischen Ausbildung lernen die Ärzte, die anthroposophische Heilkunde ausüben, darüber hinaus eine auf Goethe zurückgehende goetheanistische Methodik zur Erfassung der Lebensprozesse. Hinzu kommt das Studium der anthroposophischen Geisteswissenschaft und ihrer Forschungsmethoden sowie die Ausbildung künstlerischer Fähigkeiten und Grundkenntnisse in Heileurythmie und künstlerischer Therapie. Die Ausbildungsdauer beträgt in Theorie und Praxis mindestens drei Jahre.
Daneben gibt es rund 15 Akutkrankenhäuser und Rehakliniken, die nach anthroposophisch-medizinischen Grundsätzen behandeln. Auch eine Reihe von Altenpflegeheimen, Hospizen und Pflegediensten arbeitet nach ihren ganzheitlichen Ansätzen. An der Universität Witten-Herdecke gibt es einen Lehrstuhl für anthroposophische Medizin, Medizintheorie und Integrative Medizin. Je zwei Berufsausbildungsstätten für staatlich anerkannte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen sowie für AltenpflegerInnen bilden auf der Grundlage der anthroposophischen Pflege aus.
Anthroposophische Arzneimittel und Behandlungsmethoden
Die anthroposophische Medizin sieht sich bewusst nicht als Alternative zur Schulmedizin, sondern als ergänzende Komplementärmedizin. Neben der allgemeinmedizinischen und hausärztlichen Versorgung umfasst die anthroposophische Medizin alle medizinischen Disziplinen von der Chirurgie über die innere Medizin, Pädiatrie, Onkologie, Frauen- und Geburtsheilkunde bis hin zur Neurologie und Psychiatrie.
Die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen stützt sich sowohl auf den neuesten Stand der modernen Medizin. Konventionelle Arzneimittel, bildgebende Verfahren, Operationstechniken und Laboruntersuchungen gehören zum medizinischen Standard. Zusätzlich setzen Ärzte und Therapeuten anthroposophisch-medizinische Ansätze um, welche die Individualität des Patienten in den Mittelpunkt stellen.
So wird die konventionelle Behandlung ergänzt durch verschiedener Naturheilmittel aus pflanzlichen, mineralischen, tierischen oder metallischen Substanzen. Diese Heilmittel sind häufig als homöopathische Arzneien, zum Beispiel als Glukose-Kügelchen oder Tabletten, erhältlich.
Ein wichtiger Baustein der anthroposophischen Medizin ist die Heileurythmie, bei welcher der Patient mit Hilfe spezieller Bewegungen zu einem gesunden Rhythmus findet und seinen Muskeltonus verbessert. Weitere Schwerpunkte bei der Behandlung von Erkrankungen bilden die Kunsttherapie und die sogenannte Biographiearbeit.
Der Patient als Partner des Arztes
Ziel aller Ansätze ist es, die körpereigenen Selbstheilungskräfte so anzuregen, dass der Organismus die Krankheit aus eigener Kraft heilen oder lindern kann. Außerdem soll dem Patienten vermittelt werden, was Körper, Geist und Seele brauchen, um dauerhaft gesund zu bleiben. Die anthroposophische Medizin begreift den Patienten generell als aktiven Partner, der sich an seinem Genesungsprozess beteiligt.
Anwendungsgebiete und Kosten
Vertreter der anthroposophischen Medizin setzen diese Methode bei sämtlichen akuten und chronischen Beschwerden ein. Bei besonders schwerwiegenden Erkrankungen, etwa HIV und Aids, MultiplerSklerose oder psychischen Störungen, lässt sich die anthroposophische Medizin therapiebegleitend anwenden.
Die Misteltherapie, eine eigene Therapieform der anthroposophischen Medizin, spielt vor allem in der Behandlung von Krebspatienten eine Rolle. Rudolf Steiner nutzte Extrakte der Schmarotzer-Pflanze, um Tumorerkrankungen entgegenzuwirken. Sie enthält unter anderem Stoffe, die Krebszellen abtöten und zudem das Immunsystem anregen sollen. Einen sicheren Beweis für die Wirksamkeit gibt es nicht, es konnte lediglich nachgewiesen werden, dass die Mistelbehandlung die Lebensqualität bei Krebspatienten verbessern kann.
Zwar ist die Misteltherapie arzneimittelrechtlich für die begleitende Behandlung bei Krebs zugelassen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten jedoch nur, wenn Patienten an einer nicht heilbaren Krebserkrankung leiden und durch die Mistelpräparate die Lebensqualität verbessert werden soll. Als adjuvante, begleitende Krebstherapie, um beispielsweise die Nebenwirkungen einer Strahlen- oder Chemotherapie zu mindern und die Ausbreitung der Krebserkrankung zu unterbinden oder Tumorneubildungen vorzubeugen, sind Mistelpräparate keine gesetzliche Kassenleistung mehr.
Eine Reihe gesetzlicher Krankenkassen übernimmt die Kosten für nicht-verschreibungspflichtige Arzneien (etwa Homöopathie, Phytotherapie, Misteltherapie) und anthroposophische Behandlungen jedoch als Satzungsleistung ganz oder teilweise. Betroffene sollten sich über die genauen Regelungen bei ihrer Kasse informieren.
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