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Gedächtnisstörung/fehlende Erinnerung

Kategorie: Neurologie » Expertenrat Schlaganfall | Expertenfrage

18.11.2010 | 11:26 Uhr

Sehr geehrter Herr Frommelt,

ich stelle meine Frage Ihnen, da Sie Neurologe sind und ich gern - unter anderem - meine MRT-Diagnose übersetzt haben möchte.

Vorab: Ich bin 33 Jahre alt, nehme keine Drogen und habe dies auch nie getan. Alkohol trinke ich ab und an nur am Wochenende und dann auch nur Cola-Bier und in Maßen.

Ich hatte vor drei Jahren einen Schlaganfall, von dem aber glücklicherweise - bis auf eine Gicht-Hand links nach Überanstregung - nichts zurückgeblieben ist.

Seit ich denken kann habe ich Erinnerungsstörungen und da ich die Ärzte davon reden hörte, dass irgendwas in meinem Hirn zu alt für mein Alter sei, frage ich mich nun, ob dies vielleicht der Grund für diese Gedächtnislücken ist. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich jedoch leider nicht verständigen, dann habe ich vergessen, danach zu fragen.

Mein Ultrakurzzeit-Gedächtnis ist überdurchschnittlich gut.
Meine Auffassungsgabe und mein Kurzzeitgedächtnis ebenfalls. Ich überfliege etwas, denke, dass ich nichts behalten und/oder verstanden habe und merke im Gespräch, dass ich alles perfekt widergeben kann.
So verhält es sich auch beim Lernen.

ABER: nach ein paar Tagen weiß ich (fast) nichts mehr, kann mich somit über aktuelle Themen schlecht unterhalten, da ich nur noch gefährliches Halbwissen besitze.

Wenn ich mir Filme ansehe, merke ich FRÜHESTENS in der Mitte, dass ich sie schon kenne, kann sie aber trotzdem weitersehen, da ich das Ende vergessen habe.
Freunde erzählen mir Anekdoten von früher und ich frage (zum Teil entsetzt): DAS habe ICH gemacht?
Gestern habe ich davon erfahren, dass ich vor 10 Jahren wochenlang eine Katze hatte. Ich wusste NICHTS davon. Weder den Namen, die Herkunft, das Aussehen, was aus ihr geworden ist, warum ich sie wieder abgegeben habe, noch die Tatsache an sich. Auch jetzt kann ich mich nicht daran erinnern, ich habe also keinen Jau,-Stimmt-Effekt.

Aktuell eigne ich mir verschiedene Computer-Programme an. Ich ackere Bücher durch, mache die Lektionen, verstehe alles und denke mir jeweils am Ende des Buches: Vielleicht solltest du es besser nochmal/zweimal/dreimal durchgehen ...

Dies sind nur einige Beispiele.

Betonen möchte ich, dass ich diese Erinnerungslücken definitiv schon lange vor dem Schlaganfall hatte.

Nun meine letzte CCT-Diagnose aus der Reha. Es wäre sehr lieb, wenn Sie mir sagen könnten, ob etwas davon mit der fehlenden Erinnerung zu tun haben könnte. Vielleicht habe ich ja irgendeine angeborene Hirn-Anomalie, oder mein Hirn altert schneller als der Rest, oder oder oder. Jedenfalls kenne ich niemanden, der etwas in vergleichbarer Intensität hat wie ich.

Das Ventrikelsystem ist mittelständig und regelrecht entfaltet. Gute Differenzierbarkeit zwischen Rinden- und Marklagerstrukturen. Insgesamt ist die Hirnfurchenzeichnung für das Alter der Patientin etwas vergröbert. Längsovale hypodense Defektstruktur im Putamen rechts im Sinne einen Stammganglieninfarktes sowie Defektstruktur im Nucleus Caudatus rechts, die ebenfalls postischämischer Genese sein kann. Kein Anhalt für Blutung oder Hydrocephalus.

Ich danke Ihnen vielmals im Voraus!

Viele Grüße
Nicole

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22.11.2010, 11:06 Uhr
Antwort

Grüß Gott Nicole,

was man im MR sieht, ist die Narbe nach dem Schlaganfall rechts unter der Oberfläche des Gehirns gelegen, und zwar besonders in zwei Kerngebieten im Putamen und im Nucleus caudatus.

Wie man den Befund, dass die Hirnfurchen etwas erweitert sind, einordnen soll, ist aus der Entfernung nicht zu sagen. Manchmal sehen wir, dass die Variationsbreite unserer Gehirnoberfläche von Radiologen unterschätzt wird. Man denkt, nur weil eine Furche ein bisschen tiefer ist, sei es schon eine Schrumpfung, dabei ist es einfach die Oberfläche, so unterschiedlich wie die Größe von Menschen unterschiedlich ist. Also, man kann diesen Befund nur interpretieren, wenn man Sie als Person kennenlernt und untersucht. So präzise, wie Sie Ihr E-Mail schreiben, scheint es ja nur in bestimmten Gebieten Einschränkungen zu geben. Diese bringen Sie auch sehr genau auf den Punkt. Auch Ihr Metagedächtnis, das heißt, Ihre Fähigkeit, über Ihr Gedächtnis nachzudenken, ist hervorragend. Und die Frage die Sie stellen ist eine so interessante, dass ich Ihnen empfehlen möchte, einen Neurologen oder Neuropsychologen aufzusuchen, dessen Spezialgebiet Gedächtnisstörungen sind. Das Besondere bei Ihnen ist ja, dass die Erinnerungslücken schon vor dem Schlaganfall vorhanden waren. Und die Gedächtnisstörungen betreffen ja nicht alle Gebiete, sondern nur ausgewählte Teile des Gedächtnisses.

Es tauchen viele Fragen auf: Wodurch wurde der Schlaganfall ausgelöst? Was hat sich bei dem Gedächtnis vor dem Schlaganfall – nach dem Schlaganfall vielleicht doch verändert?

Aus Ihrem E-Mail spricht jedoch, dass Sie sehr gut mit Ihren Einschränkungen umgehen können.

An wenn Sie sich wenden können, liegt ein bisschen daran, wo Sie wohnen. Wenn Sie mir die Region sagen, kann ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen.

Alles Gute

Dr. P. Frommelt

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22.11.2010, 22:59 Uhr
Antwort

Hallo Herr Dr. Frommelt,

erst einmal möchte ich mich bei Ihnen recht herzlich für Ihre detaillierte Antwort bedanken und Ihnen sagen, dass ich dieses Forum samt der beherzten Ärzte großartig finde!

Zu Ihren Fragen:

· Ein RICHTIGER Auslöser wurde nie gefunden. Ich habe viel geraucht und die Pille genommen, jedoch sagten mir die Ärzte, dass demzufolge ja ca. ein Drittel aller Frauen ebenfalls einen Schlaganfall bekommen müssten. Klingt logisch :-). Ich war 30, schlank, niedriger Blutdruck, normale Cholesterinwerte. Eine Gerinnungsstörung habe ich auch nicht bis auf dass mein Lipoprotein erhöht ist (58 mg/dl). Was aber wohl auch keine Rolle spielt.

· Gedächtnis vor und nach dem Schlaganfall ... ich habe während und nach der Reha alle Tests, die Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und logisches Denken betrafen, bestens bestanden. Ob dort Gedächtnisübungen gemacht wurden, weiß ich schon nicht mehr :-/. Im Krankenhaus wurden sie gemacht, ich habe sie nicht bestanden und dort dachte ich mir immer: Mensch, ihr kanntet mein Gehirn doch vorher gar nicht, vielleicht war ich schon immer so und dies und das konnte ich vorher auch nicht.

Also es kann natürlich gut sein, dass sich was verändert hat. Keine Ahnung!

Ich weiß aber, dass ich während meiner Ausbildung (mit ca. 19 Jahren) mein Abi nachmachen wollte und mir - da ich drei Monate später eingestiegen bin - drei Monate Latein im Selbststudium beibringen musste. Note in erster Arbeit: 2. Nun weiß ich nichts mehr.

Englischvokabeltest: In der kleinen Pause fünf Minuten lang angeguckt, eine Eins geschrieben, 2 Tage später: nichts mehr vorhanden.

Und ich habe mit ca. 25 Jahren ernsthaft im Netz geforscht, ob das mit meinem Gedächtnis normal ist, aber nichts dergleichen gefunden.

Wenn Sie mir einen Experten nennen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich wohne im Ruhrgebiet, in 45964 Gladbeck und bin natürlich auch gewillt, einige Kilometer Weg auf mich zu nehmen. Mein aktueller Neurologe ist Dr. Gebauer in Bottrop. Dort habe ich im Januar meinen nächsten Termin.

Wo wir schon dabei sind, noch eine kleine Frage:
Ich habe scheinbar wirklich eine kleine Spastik in der linken Hand.
Bringt es etwas, sich nach drei Jahren noch in Behandlung zu begeben?

Fragen Sie mich nicht, warum, aber das mit dem Gedächtnis und der Spastik habe ich noch nie mit meinem Arzt besprochen. Vielleicht wollte ich mir weismachen, dass ich kerngesund bin oder habe es nicht als wichtig empfunden. Oder die Spastik ist schlimmer geworden. Merke es sehr stark beim Tippen.

Ich danke Ihnen schon jetzt!
Und entschuldigen Sie bitte meinen Roman :-)

Viele Grüße
Nicole

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29.11.2010, 09:12 Uhr
Antwort

Grüß Gott Nicole,

Fangen wir einmal mit der Spastik an. Wie Sie schildern, würde ich einen Spezialisten für Bewegungsstörung fragen, ob es wirklich eine Spastik ist oder ob Sie möglicherweise etwas haben, was wir Dystonie nennen. Dystonie bedeutet, dass sich bei Bewegungen leichte Verkrampfungen in der Hand einstellen. Es gibt zum Beispiel die Dystonie bei Musikern. Fragen Sie doch Ihren Neurologen einmal, wie er Ihre Bewegungsstörungen in der linken Hand einordnen würde. Man muss dann sehr Obacht geben, denn bei der Spastik würde man eine ganz andere Behandlungsstrategie wählen als bei der sogenannten Dystonie.
Nun zu Ihrem Gedächtnisproblem. So präzise, wie Sie jetzt Ihre Gedächtnisausfälle schildern, sollten Sie sie auch denjenigen schildern, den Sie zur Beratung aufsuchen. Am besten, Sie bringen eine Beschreibung, so wie Sie es jetzt gemacht haben, mit, so dass sich vielleicht schon im Vorfeld der Untersucher ein Bild machen kann. Ich habe zwei Vorschläge in Ihrer Region. Das eine ist ein Professor Boris Suchan im Institut für kognitive Neurowissenschaft in der Universität Bochum, Tel.: 0234/3227575. Die zweite Adresse ist ein Professor Markowitsch von der Universität Bielefeld, der ein ziemlich berühmter Gedächtnisforscher ist, Tel.: 0521/1064487.
Mich würde sehr interessieren, gelegentlich von Ihnen zu erfahren, ob Ihnen dieser Ratschlag weiter geholfen hat, und ob Sie von diesen Experten etwas mehr über sich erfahren konnten.
Am meisten habe ich in meiner beruflichen Laufbahn von Patienten gelernt und daher bin ich auch immer interessiert zu erfahren, wenn mir jemand eine ungewöhnliche Konstellation schildert. Also, lassen Sie gelegentlich von sich hören und genießen Sie die Weihnachtszeit.

Alles Gute

Dr. P. Frommelt

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07.12.2010, 08:10 Uhr
Antwort

Hallo Herr Dr. Frommelt,

vielen Dank für Ihre Hilfe!

Sobald es meine Zeit zulässt, werde ich bei einem der Experten einen Termin vereinbaren. Sehr nett, dass Sie mir direkt die Telefonnummern dazugeschrieben haben :-).

Und sehr gern gebe ich Ihnen Rückmeldung(en)!

Danke nochmals und viele Grüße
Nicole

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