Entspannungstechniken

Progressive Muskelentspannung nach Jacobson

Die Progressive Muskelentspannung (PME) beziehungsweise Progressive Muskelrelaxation (PMR) ist eine Entspannungsmethode, die einfach zu erlernen ist. Ihre Wirksamkeit wurde in unterschiedlichen Studien nachgewiesen, und sie wird zur Unterstützung der Therapie diverser Erkrankungen empfohlen.

Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
© iStock.com/fizkes

Die Progressive Muskelentspannung (PME) beziehungsweise Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson geht auf den amerikanischen Arzt und Physiologen Edmund Jacobson zurück. Er beobachtete, dass sich die Muskulatur unter Stress, Angst und Unruhe leicht verspannt und dass umgekehrt die Muskeln sich lockern, wenn wir innerlich ruhig und ausgeglichen sind.

Aus diesem Zusammenhang zwischen körperlichen und psychischen Vorgängen folgerte er, dass sich eine bewusste Lockerung der Muskulatur positiv auf die Psyche auswirkt. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte er das Verfahrenn, welches er erstmals 1929 beschrieb.

Entspannungstechniken im Überblick

PME umfasste zunächst 80 Übungen

Die bewusste Lockerung der Muskulatur wird bei der PME dadurch erreicht, dass 60 bis 80 verschiedene Muskelgruppen nacheinander etwa eine Minute angespannt und vier Minuten entspannt werden. Hintergrund ist, dass die Muskulatur nach einer systematisch gesteigerten Aktionsspannung eine größere Bereitschaft zur Senkung der Anspannung aufweist.

Was bringt die PME?

Die Entspannungsmethode soll den Übenden nicht nur in die Lage versetzen, zur Ruhe zu kommen. Weiteres Ziel der Übungen ist es, die Körperwahrnehmung und Achtsamkeit zu schärfen und in sich hineinzuhorchen, was das Anspannen und Entspannen der einzelnen Körperregionen bewirkt. So kann erlernt werden, Anspannungen und damit Symptome einer Überforderung beziehungsweise eines beginnenden Burnouts frühzeitig wahrzunehmen und gezielt dagegen vorzugehen.

Verkürzte PME-Variante

Diese Original-Methode dauerte etwa eine Stunde und ist damit sehr zeitaufwändig. Wenn heute von der PME die Rede ist, handelt es sich um ein verkürztes Modell, das die amerikanischen Psychologen Douglas A. Bernstein und Tom D. Borkovec 1982 entwickelten. Es umfasst 16 Körperbereiche:

  • dominante Hand und Unterarm
  • dominanter Oberarm
  • nicht-dominante Hand und Unterarm
  • nicht-dominanter Oberarm
  • Stirn
  • obere Wangenpartie und Nase
  • untere Wangenpartie und Kiefer
  • Nacken und Hals
  • Brust, Schultern und obere Rückenpartie
  • Bauchmuskulatur
  • dominanter Oberschenkel
  • dominanter Unterschenkel
  • dominanter Fuß
  • nicht-dominanter Oberschenkel
  • nicht-dominanter Unterschenkel
  • nicht-dominanter Fuß

Zehn Sekunden anspannen, 30 Sekunden entspannen

Die Unterscheidung von dominant und nicht-dominant richtet sich danach, ob jemand Rechts- oder Linkshänder ist. Für einen Rechtshänder ist demnach beispielsweise die dominante Hand die rechte, für einen Linkshänder die linke. Alle Muskelgruppen werden jeweils etwa zehn Sekunden leicht angespannt, die Entspannungsphase dauert etwa 30 Sekunden.

Das Modell nach Bernstein und Borkovec, von dem es ebenfalls kürzere Varianten gibt, nimmt in seiner Langfassung etwa 30 Minuten in Anspruch und ist damit praktikabler als das Original, aber immer noch relativ zeitaufwändig. Daher wurde eine Kurzfassung entwickelt, die fünf größere Bereichen umfasst und so noch kürzere Übungseinheiten ermöglicht. Diese kann der Übende auch in einen hektischen Alltag leicht integrieren. Dabei handelt es sich um die Bereiche

  • Hände und Arme
  • Gesicht
  • Hals, Nacken, Schultern
  • Bauch und Rücken
  • Po, Beine und Füße.

Entspannung ist messbar

Ob eine Entspannungstechnik den gewünschten Erfolg bringt, lässt sich nicht nur anhand von subjektiven Empfindungen wie Wohlbefinden und dem Gefühl innerer Ruhe und Gelassenheit feststellen, sondern auch an messbaren körperlichen Reaktionen. So sinken im entspannten Zustand Herzfrequenz und Blutdruck, die Atmung verlangsamt sich.

Dass die fast 100 Jahre alte Entspannungsmethode mit ihren Weiterentwicklungen wirkt, wurde in Studien vielfach belegt. Ein positiver Effekt der Entspannungstechnik auf die Prävention und Therapie unterschiedlicher Erkrankungen ist ebenfalls durch etliche Untersuchungen nachgewiesen worden.

Bei welchen Erkrankungen hilft PME?

Das gilt insbesondere für Erkrankungen und psychosomatische Störungen, die durch psychische Belastung und Anspannung ausgelöst oder verstärkt werden. Die Liste der Indikation für die PME ist entsprechend lang. Dazu gehören beispielsweise Angst-, Zwangs- oder Schlafstörungen, Depressionen, Burnout, chronische Schmerzerkrankungen wie Kopf- oder Rückenschmerzen udn Muskelverspannungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck und Magen-Darm-Erkrankungen.

Nicht umsonst wird die Methode in Behandlungsleitlinien unterschiedlicher Erkrankungen als therapiebegleitende Relaxationstechnik empfohlen. In der Krebstherapie hat sich die Entspannungstechnik ebenfalls bewährt – zum einen, um psychische Folgen der lebensbedrohlichen Krankheit wie Ängste in den Griff zu bekommen, zum anderen, um Übelkeit und andere Magen-Darm-Beschwerden infolge einer Chemotherapie zu mildern.

Hilfe bei Depressionen: 12 einfache Tipps für Betroffene

Für wen die Entspanungstechnik ungeeignet ist

Es gibt jedoch auch Kontraindikationen für die PME. Nicht geeignet ist sie beispielsweise für Menschen mit Schizophrenie, da die Konzentration auf innere Abläufe Wahnvorstellungen hervorrufen kann. Das Hineinhorchen in sich selbst kann auch bei Hypochondern Angstzustände auslösen.

Problematisch sind Entspannungstechniken wie die Progressive Muskelentspannung, die eine Absenkung der Atem- und Herzfrequenz bewirken, wenn eine Atem- oder Herzfunktionsstörung vorliegt. Im schlimmsten Fall kann es dann zu Erstickungsangst und akuten Herzproblemen kommen.

Krankenkassen bieten Kurse in PME

Abgesehen von diesen wenigen Kontraindikationen ist das Entspannungsverfahren einfach und ungefährlich, von dem nicht nur Kranke profitieren. Auch präventiv tut eine regelmäßige kleine Auszeit gut. Um die Technik zu erlernen, können Sie einen Kurs besuchen.

Entsprechende Kurse werden beispielsweise von Krankenkassen, aber auch an Volkshochschulen angeboten. Sie können die Übungen zur Progressiven Muskelentspannung aber auch selbst erlernen, wobei am besten mit der Langfassung des Modells von Bernstein und Borkovec begonnen wird.

Wenn Sie die Übungen regelmäßig mehrmals pro Woche absolvieren, werden Sie Ihnen mit der Zeit immer leichter fallen, sodass nach einer Weile die Kurzfassung ausreicht, um das gewünschte "Loslassen" und eine tiefe Entspannung zu erreichen.

Muskelentspannung daheim durchführen

Bevor sie beginnen, sollten Sie für eine ruhige Umgebung sorgen. Das erleichtert die Konzentration. Sie können im Sitzen auf einem bequemen Sessel üben, in dem Sie den Kopf zurücklehnen können. Die Arme legen Sie locker auf Oberschenkel oder Armlehne. Sie können die Übungen auch im Liegen durchführen. Legen Sie sich dazu auf eine Matte mit ausgestreckten Beinen und leicht nach außen gestellten Zehen auf den Rücken, die Arme liegen locker neben dem Körper. Wichtig ist, dass Sie eine bequeme Position finden. Wenn Sie Rückenprobleme haben, kann eine Knierolle das bequeme Liegen erleichtern.

Augen schließen und zur Ruhe kommen

Schließen Sie nun die Augen und atmen Sie regelmäßig ein und aus. Um zur Ruhe zu kommen, können Sie den Bauch beim Einatmen bewusst heben und beim Ausatmen senken. Beginnen Sie mit den einzelnen Anschnitten, wenn Ihr Atem ruhig und gleichmäßig geworden ist. Für die jeweiligen Übungen genügt es, die Muskeln nur leicht für maximal zehn Sekunden anzuspannen.

Danach entspannen Sie die Muskeln bewusst etwa 30 Sekunden lang. Wenn Sie Schmerzen beim Anspannen einer Muskelgruppe spüren, verzichten Sie einfach darauf. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf das Entspannen der betreffenden Muskeln. Wichtig ist, während der gesamten Übungseinheit gleichmäßig weiter zu atmen.

Zwölf Übungen zur Progressiven Muskelentspannung

1. Hand und Unterarm

Ballen Sie zunächst Ihre dominante Hand – wenn Sie Rechtshänder sind, ist das die rechte – zur Faust und konzentrieren Sie sich auf die Muskeln in Ihrem Unterarm. Öffnen Sie die Hand und lösen Sie die Anspannung. Fühlen Sie nach, wie sich die Muskeln entspannen. Wiederholen Sie die Übung dann mit der anderen Hand. Führen Sie anschließend die Übung mit beiden Händen gleichzeitig durch.

2. Oberarm

Führen Sie die Hände zu Ihren Schultern, die  Ellenbogen sind gebeugt. Halten Sie diese Beugespannung kurz und entspannen Sie, indem Sie die Arme wieder gelöst auf die Unterlage legen.

3. Unterarm

Drehen Sie Ihre Handinnenflächen nach oben zur Decke und drücken Sie nun Ihre Unterarme fest gegen die Unterlage. Lösen Sie die Spannung wieder, indem Sie die Arme wieder bequem auf der Unterlage ruhen lassen.

4. Brust und Schultern

Heben Sie die Schultern von der Unterlage ab und fühlen Sie dabei, wie sich die Muskeln an Schultern und Brustkorb spannen. Lockern Sie die Anspannung, indem Sie die Schultern wieder ganz entspannt auf die Unterlage zurücksinken lassen.

5. Hals und Nacken

Ziehen Sie die Schultern hoch und spannen Sie Ihre Nackenmuskulatur an. Lösen Sie die Anspannung, indem Sie die Schultern wieder zurücksinken lassen.

6. Nacken

Drücken Sie Ihren Kopf fest gegen die Unterlage und spüren Sie dabei, wie die Nackenmuskeln arbeiten. Lockern Sie die Spannung, sodass Ihr Kopf wieder entspannt auf der Unterlage liegt.

7. Stirn

Heben Sie Ihre Augenbrauen an und legen Sie die Stirn in Falten. Lösen Sie Anspannung Ihrer Gesichtsmuskulatur wieder fühlen Sie bewusst, wie sich die Stirn wieder glättet.

8. Wangen und Nase

Kneifen Sie die Augen fest zusammen. Entspannen Sie die Lider wieder.

9. Wangen und Kiefer

Spannen Sie jetzt die Kiefermuskulatur an, indem Sie die Zähne fest zusammenbeißen. Entspannen Sie die Kiefermuskulatur wieder. Lockern Sie Ihren Kiefer, indem Sie ihn hin und her bewegen.

10. Bauch

Spannen Sie die Bauchmuskeln an, indem Sie Ihren Bauch einziehen. Lösen Sie die Spannung, bis die Bauchmuskeln wieder völlig gelockert sind.

11. Gesäß und Oberschenkel

Spannen Sie nun Gesäß und Oberschenkel an, als ob Sie das Gesäß anheben wollten. Senken Sie Gesäß und Oberschenkel wieder ab und entspannen Sie.

12. Füße und Unterschenkel

Beugen Sie die Zehen nach innen und spannen Sie Ihre Füße in Richtung Boden. Spüren Sie dabei der Anspannung der Waden. Danach lassen Sie wieder locker.

Am Ende der Übungen öffnen Sie die Augen und atmen tief durch. Strecken Sie sich wie nach dem Aufwachen.

Übungsanleitungen zum Zuhören

Wenn Sie mit der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson beginnen, also die Übungen noch nicht auswändig können, müssen Sie die Übungsanweisungen hören können. Eine Möglichkeit ist, die Anweisungen laut zu lesen und aufzunehmen. Oder Sie kaufen sich eine Audio-CD mit Übungsanleitungen zur Progressiven Muskelentspannung.

Einige Krankenkassen bieten Audiodateien mit den Übungsanleitungen auch als kostenlosen Download an.

Meistgeklickt zum Thema
Hysterektomie: Methoden und Folgen der Gebärmutterentfernung
Wann ist der Eingriff nötig?

Wann erfolgt eine Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) und welche Folgen hat sie? Erfahren Sie hier mehr! → Weiterlesen

Bachblüten: Wirkung und Anwendung der 38 Mittel
Therapien

Bachblüten sind stark verdünnte Blütenextrakte aus bestimmten Blumen, Bäumen und Sträuchern. Sie wirken harmonisierend auf die Psyche und werden in Situationen seelischer Belastungen eingesetzt → Weiterlesen

Wann erfolgt eine Ausschabung (Abrasio, Kürettage) der Gebärmutter?
Bei Blutungsstörungen und Schwangerschaftsabbrüchen

Wann ist eine Ausschabung (Abrasio) der Gebärmutter notwendig und wie läuft sie ab? → Weiterlesen

Haben Sie eine Frage?

Sie möchten Informationen zu bestimmten Krankheitssymptomen oder wollen medizinischen Rat? Hier können Sie Ihre Fragen an unsere Experten oder andere Lifeline-Nutzer stellen!

Beratender Experte
Frau Dr. med. Sabine Schulz

Artikel zum Thema
Experten-Foren

Mit Medizinern und anderen Experten online diskutieren.

Forum wählen
Stichwortsuche in den Fragen und Antworten unserer Community

Durchstöbern Sie anhand der für Sie interessanten Begriffe die Beiträge und Foren in der Lifeline-Community.

Ausführliche Informationen
  • DiagnoseDiagnose

    Wir erklären Ihnen medizinische Untersuchungen einfach und verständlich. Damit Sie Bescheid wissen, was der Doktor mit Ihnen vorhat. → Weiterlesen

  • Laborbefund verstehenLaborwerte

    Verstehen Sie die Abkürzungen und Fachausdrücke Ihrer Laborergebnisse nicht? Einen roten Faden durchs Fachchinesich bietet das Laborwerte A bis Z. → Weiterlesen

Newsletter-Leser wissen mehr über Gesundheit

Aktuelle Themen rund um Ihre Gesundheit kostenlos per Mail.

Abonnieren
Expertenrat Allgemeinmedizin

Die Lifeline-Experten beantworten Ihre Fragen fundiert und kompetent!

mehr...

Zum Seitenanfang

afgis-Qualitätslogo mit Ablauf 2024/05: Mit einem Klick auf das Logo öffnet sich ein neues Bildschirmfenster mit Informationen über FUNKE Digital GmbH und sein/ihr Internet-Angebot: https://www.lifeline.de/

Unser Angebot erfüllt die afgis-Transparenzkriterien.
Das afgis-Logo steht für hochwertige Gesundheitsinformationen im Internet.

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt. Vielen Dank für Ihr Vertrauen.